- WELTBÜRGER-Stifter: weltweiser
- Programm: Schüleraustausch
- Land: Uruguay
- Dauer: 10 Monate
- Name: Annika
Ich kann kaum glauben, dass ich schon 3 Monate hier bin. 3 Monate, dass ich mit einem dicken Kloss im Hals ins Flugzeug stieg. Als ich noch ueberhaupt nicht begriff, dass ich nun alles fuer ein Jahr zurueck lassen wuerde. In den ersten drei Tagen hatte ich von meiner Organisation (Youth For Understanding) ein Einfuehrungs-Seminar, in dem uns nochmal viel ueber eventuelle Missverstaendnisse, Unterschiede und Gefahren erzaehlt wurde. Doch ich war die ganze Zeit so nervoes, meine Gastfamilie kennenzulernen, dass ich gar nicht zuhoeren konnte.
Am 18. August kam ich dann also endlich in Dolores an, einer kleinen Stadt mit ca 18.000 Einwohnern. Mein Bus hielt nach der 5 stuendigen Reise und ich konnte nicht glauben, dass ich dort richtig war! Vor dem Bus stand eine Menschenmenge, die jubelte und Fotos machte. Mit Umarmungen und Kuessen wurde ich zum ersten Mal von meiner Gastfamilie begruesst. Meine Gastfamilie besteht aus meinem Vater (Alejandro), meiner Mutter (Bettina) und meiner Schwester (Valentina, 15) und meinem Bruder (Alejo, 5).
Nach einer kleinen Autofahrt kam ich zum ersten Mal in meinem Haus an, das nun fuer das naechste Jahr mein neues zu Hause sein sollte. Ich erinnere mich noch genau daran, dass ich mir dachte: “Endlich angekommen. Ich will nur noch in ein warmes Bett und lange, lange schlafen!” Aber nein, es sollte ganz anders kommen. Denn als ich eintrat, waren im Wohnzimmer 5 Freunde meiner Schwester und der Freund versammelt,, um mich kennenzulernen. Die waren total lieb und haben versucht, mit mir auf Spanisch zu reden.
Doch verstehen konnte ich noch ueberhaupt nichts, weil ich ja noch kein Spanisch sprach. Am Fenster stand ein bunter Schriftzug ¨Bienvenido Annika¨ (Herzlich Willkommen, Annika!) und meine Schwester hatte einen Kuchen gebacken. Der erste Tag war pure Aufregung und der sollte nur ein klitzekleiner Einblick von meinen ersten drei Monaten werden.
Mein erster Schultag
Am Montag, an meinem ersten Schultag, wurde es noch verrueckter. Der war uebrigens gar nicht so geplant, denn ich war mit meiner Schwester shoppen, um ein paar Dinge zu besorgen, die ich unbedingt brauchte. So ueberquerten wir den Plaza, der wie ich nicht wusste, auch gleichzeitig der Schulhof meiner zukuenftigen Schule ist. Dort drehten sich mehr als 100 Leute nach mir um und Vale fragte mich, ob ich nicht kurz vorbeischauen wollte um alle zu begruessen.
Die voellig unahnende Annika, bestimmte das natuerlich mit einem begeisterten JA! Als ich dann reinging, fuehlte ich mich wie ein Promi. Durch Fenster konnten mich alle Klassen sehen und so fing ein Riesengeschrei an, weil mich die Schueler kennenlernen wollten. Ihr koennt euch nicht vorstellen, wie laut das war, denn ein paar Klassen mit jeweils ueber 30 Schuelern, gleichzeitig schreiend (und man muss auch noch das suedamerikanische Temperament bemerken!) ergibt ein totales Chaos! Meine Schwester zog mich in eine Klasse und dort ging es mit der Fragerei los. Vale uebersetzte alles, so konnte ich jede Frage beantworten.
Ich stand dort ueber eine Stunde und wuerde ueber Deutschland, meine Haare und noch sehr vieles mehr ausgefragt. Dann klingelte es zur Pause und meine Schwester erklaerte mir, dass wir nun rennen muessten. Den Grund verstand ich erst ein paar Minuten spaeter. Denn ich habe es natuerlich total vergessen und so versammelten sich ueber 200 Leute um mich herum und begannen, mich anzuschauen. Mir wurde auf der Strasse zugehupt, gerufen und gejubelt. Ich musste winken und wurde von ein paar Leuten nach einem gemeinsamen Foto gefragt. Eigentlich fehlten nur noch die Autogramme!
Fernweh? JuBi!
Mit dem Spanisch hatte ich nur die ersten sechs Wochen Probleme. Zum Glueck konnte mir meine Schwester helfen, die als eine der einzigen hier in der Stadt, englisch sprechen kann. Mit meinen Eltern redete ich jeden Abend bis zum Schlafengehen noch weiter und lernte malerisch meine ersten Vokabeln, etwas anderes blieb mir ja nicht uebrig! Drei Mal in der Woche habe ich Spanischunterricht von meiner Organisation aus, was mir viel weiterhilft. Es gibt Phasen, in denen ich alles verstehe und einer Unterhaltung gut folgen kann, aber ich kann noch nicht immer alles sagen, was ich gerade moechte. Das nervt mich in hektischen Situationen total! Aber das kommt noch mit der Zeit, hoffe ich zumindest! Meine Klasse motiviert mich, denn sie fangen an zu klatschen, wenn ich etwas vorlese oder ein richtiges Wort auf Spanisch sage.
Zu den Uruguayos (den Leuten in Uruguay): Die Jungen sind seeeeeehr temperamentvoll. Teilweise schreien Jungen im Chor: I LOVE YOU ANNIKA! Und noch vieles mehr. Als ich mich vor ein paar Tagen auf eine Bank setzte, setzten sich mehr als 20 Jungen auf dieselbe Bank. Ja, es ist eben eine Kleinstadt und ich werde ueberall erkannt. Man begruesst die Leute hier immer mit einem Kuesschen und unterhaelt sich dann ein kleines Weilchen. Ich glaube, ihr koennt euch dann gut vorstellen, wie es mir geht, wenn ich in Eile bin und ich aus Freundlichkeit trotzdem jede bekannte Person begruesse. Die Leute haben ein grosses Herz und alle heissen mich noch jetzt, nach 3 Monaten, willkommen.
Familienleben lateinamerikanisch
Meine Familie nimmt mich mit einer unglaublichen Liebe auf, so, wie ich es mir niemals zu vorstellen gewagt hatte. Meine Eltern stellen mich grundsaetzlich immer mit den folgenden Worten vor: “Das ist unsere neue Tochter aus Deutschland!” Ich moechte nicht sagen, dass es nie Probleme oder Meinungsunterschiede gibt, aber ich passe ohne Zweifel total in diese Familie und fuehle mich wie ein richtiges Mitglied. Mein Vater kommentiert Komplimente mit den Worten: “Aber klar doch, ist ja auch meine Tochter.” Mein Vater hat eindeutig das suedamerikanische Feuer. Wenn ich nach Hause komme, dreht er die Musik auf und laesst nicht locker, bis endlich alle Leute aufstehen und wir gemeinsam tanzen. Da kann man sich schon vorstellen, dass ich mich hier pudelwohl fuehle. Und meine Mutter sagte letztens beim Essen: Anni, dir gefaellt das Essen, oder? Du kommst eindeutig nach mir! Da bleibt mir ja gar keine Moeglichkeit, mich nicht wohlzufuehlen!
Neuer Schulalltag, neue Gewohnheiten
Die Schule faengt nach dem Mittagessen an. Ich habe mehr Stunden, als in Deutschland, doch die Schule wird nicht halb so ernst genommen. An einigen Tagen habe ich 5 Freistunden, weil die Lehrer fehlen. Achja, wenn Du keine grosse Lust hast, zu arbeiten, werd einfach Lehrer in Uruguay! Denn hier kannst Du dir als Lehrer einfach mal einen Tag freinehmen, wenn es regnet.
Apropos Regen: Regentage sind hier seltener als in Deutschland, aber wenn es regnet, dann so richtig! Da gehen ca 3 Schuler von 30 zur Schule, aber der Unterricht faellt sowieso aus, weil kein einziger Lehrer zur Schule kommt. Die Lehrer sind hier eher wie Freunde. Man spricht sie mit Vornamen an und wenn man sie auf der Strasse trifft, begruesst man sie auch mit einem Kuesschen auf der Wange.
Eine Schuluniform ist Pflicht. Diese besteht aus einer normalen, langen Hose, einem weissen Polo-Shirt und einer dunkelroten Jacke. Im Sommer werden graue Faltenroecke getragen, die etwas zu kurz sind. Mir gefaellt es, die Schuluniform zu tragen. Ich fuehle mich so wirklich viel mehr Teil der Schule und das Gemeinschaftsgefuehl ist ja gerade als Austauschschueler, und somit als Fremde, total wichtig. Schminke ist nicht verboten, wird hier aber von keinem einzigen Schueler benutzt. Das gefaellt mir am allermeisten, so spart man den ganzen Aufwand!
In den Pausen versammeln sich die meisten Schueler auf dem Schulhof und es wird Mate getrunken. Mate? Das ist sozusagen wie der Kaffee in Deutschland, wird aber noch mehr geetrunken. Er besteht aus Yerba, einem gruenen Kraeutermix und heissem Wasser. Das alles wird aus Matebechern und mit einer Bombilla, einem Matestrohalm, getrunken. Der Mate ist ein grosser Teil der uruguayischen Kultur. Man sitzt in einer Runde und redet, waehrend man gemeinsam einen Mate trinkt. Der wird geteilt und rumgegeben, so dass jeder etwas trinkt. Ich kann den Geschmack nicht beschreiben, denn es ist ein einzigartiger, neuer und etwas merkwuerdiger Geschmack! Soviel zum Trinken. Zum Essen sage ich dann mal lieber nicht viel. Es schmeckt unglaublich gut, demnach werde ich auch genauso dick wieder kommen….
Nun zur Disko hier: An Samstagen gehen hier fast alle Jugendliche aus der Stadt feiern. Um 11 Uhr abends treffe ich mich mit meinen Freundinnen, um uns gemeinsam fertig zu machen. Das nennt sich Previa, eine typische “Vorfeierversammlung” Lateinamerikas. Schon dort wird waehrend des Schminkens ordentlich gesungen, getanzt und Stimmung gemacht. Wenn ich dann um 2 Uhr nachts in die Disko eintrete, fuehle ich mich wie in einem Film. Die Lateinamerikaner sind nicht umsonst fuer ihr gutes Feiern beruehmt. Es ist mir echt unangenehm, dass ich nicht so wie die Lateinamerikaner tanzen kann. Denn die legen an Samstagen erst so richtig los!! Um acht Uhr morgens, wenn es dann wieder hell wird, komme ich nach Hause und falle hundemuede ins Bett.
Da ich ja auf der anderen Seite der Welt wohne, bricht jetzt, im November, endlich der Fruehling an. Der Winter ist nur halb so schlimm wie der in Deutschland, doch kalt ist er trotzdem. Ich freue mich schon wahnsinnig auf die naechsten Sommermonate.
Falls ich vielleicht sogar Interesse an Uruguay geweckt habe, schreibt mir gerne eine E-Mail (annikasgemen@web.de). Denn wenn ihr die Chance habt, ins Ausland zu gehen, macht es wirklich. Es ist nicht nur fantastisch um neue Dinge zu lernen, eine andere Kultur zu entdecken sondern auch um von dem genialen Essen, in Ruhe dick zu werden und ordentlich “die Sau rauszulassen”!