- WELTBÜRGER-Stifter: weltweiser
- Programm: Schüleraustausch
- Land: Costa Rica
- Dauer: 10 Monate
- Name: Leandra
Die Anreise
Meine Anreise war ein wenig komplizierter, als es eigentlich geplant war. Nachdem ich in Berlin am Flughafen meine Familie verabschiedete, flog ich zusammen mit einem Jungen meiner Austauschorganisation nach Madrid. Bis dahin lief alles gut. Allerdings hatten wir Schwierigkeiten das Gate für den Anschlussflug nach San José (Costa Rica) zu finden. Das Personal, die Größe und die Unübersichtlichkeit des Madrider Flughafens wurden uns zum Verhängnis. Da wir noch kaum Spanisch sprachen, versuchten wir uns auf englisch durch das Gebäude zu wühlen. Leider hat die Fluggesellschaft, mit der wir geflogen sind, nicht sonderlich viel mit Englisch am Hut (was im Übrigen nicht unbedingt mit Unwissenheit, als viel mehr mit Trotz oder Stolz zu tun hat).
Nachdem wir einmal in jedem Terminal und so außer Atem waren, dass wir Mühe hatten überhaupt noch ein Wort zu sagen, kamen wir an den Stand einer Fluggesellschaft, an dem uns eine freundliche junge Frau endlich den Weg zum richtigen Gate beschrieb. Auf diesem Weg hat meine Begleitung dann leider auch noch seinen Pass verloren. Wir mussten also erst noch einmal dorthin zurück, wo wir den verschollenen Pass vermuteten. Dort war er aber leider nicht.
Weil wir schon im Sicherheitsbereich waren, schlug ich vor, erst einmal zum Gate zu gehen und den Leuten dort zu sagen, dass der Pass weg ist und zu fragen, was wir jetzt tun sollten. Am Gate angekommen, lief uns schon ein Mann entgegen. Ich fragte ihn, ob wir noch in den Flieger können. Die Antwort darauf, war so unfreundlich und dreist, dass ich mich ziemlich zusammenreißen musste, um nicht… Nun ja die Antwort lautete jedenfalls: Wir hätten schließlich 2 Stunden Zeit gehabt und was wir wohl so lange gemacht hätten. Der Flug sei weg und das schon seit 10 Minuten. Zum ersten Punkt, den der nette Herr erwähnte, kann ich sagen, dass ich viel darauf verwetten würde, dass wir keine 2 Stunden Zeit hatten. Ich hätte dem Herrn am liebsten geantwortet, dass ich schon immer mal allein auf einem Flughafen sitzen wollte, ohne zu wissen, was ich tun soll und um mir diesen Spaß zu erlauben, hab ich ein bisschen getrödelt und den Pass meiner Begleitung verschlampt… Aber über die Tatsache, wir den Flieger verpasst hatten, war ich so erschrocken, dass ich mir über eine passende Antwort gar keine Gedanken mehr machen konnte.
Wir riefen also unsere Eltern und die Austauschorganisation an, die wiederum die deutsche Botschaft in Madrid informierten, damit sie für meinen Begleiter ein Ersatzdokument ausgestellt. Die Austauschorganisation hat uns dann ein Zimmer im Flughafenhotel reserviert und von da an mussten wir jeden Tag sehr früh zum Flughafen fahren, einchecken und warten, ob im nächsten Flieger nach Costa Rica vielleicht ein Platz frei bleibt. Nach 5 Tagen und 4 Nächten in Madrid bekamen wir endlich zwei Plätze und kamen mit kleiner Verspätung in Costa Rica an.
Meine Gastfamilie hat mich dann hier umso herzlicher in San José empfangen! Weil ich im Flugzeug nicht schlafen konnte und Kaffee getrunken habe, konnte ich im Auto auf dem Weg nach Guápiles, wo meine Gastfamilie wohnt, die Augen kaum offen halten. Doch die Landschaft, die an uns vorbei flog, ließ mich meine Müdigkeit vergessen. So viel Natur auf einmal hatte ich nie zuvor gesehen. Es war und ist unglaublich!
Das Land entdecken
Nach mittlerweile fast 3 Monaten habe ich mich sehr gut eingelebt und fühle mich wohl hier. Manchmal habe ich Sehnsucht nach meiner Familie oder Freunden in Deutschland, aber Heimweh habe ich bisher nicht.
Der erste Ausflug mit meiner Familie führte nach San Carlos zu einem Vulkan. Dort gibt es Freibäder mit fast heißem Wasser, welches direkt aus dem Vulkan kommt. Das ist auch einer der wenigen Orte, an denen man sich warm duschen kann.
Vor ungefähr 4 Wochen bin ich mit drei weiteren deutschen Austauschschülern nach Monte Verde in der Provinz Guanacaste zum Reiten gefahren. Diesen Ausflug hatten wir uns selbst organisiert und unsere Eltern haben zugestimmt. Es war atemberaubend! Wir sind auf einem Bergkamm entlang geritten. Auf der Südseite sahen wir dichten Regenwald und auf der Nordseite war fast nur Steppe. Das Highlight unseres Ausrittes, war ein Wasserfall, aus dem wir kristallklares Wasser getrunken haben.
Am nächsten Tag in Monte Verde wollten wir in den Nationalpark, hatten aber den Rezeptionisten so verstanden, dass erst ab 16.30 Uhr Touren beginnen. Also sind wir mit dem Taxi dorthin gefahren, um eine Tour mit zu machen, bei der das erworbene Geld an obdachlose Kinder gespendet wird. Bei unserer Ankunft erklärte uns dann der Tourguide, dass leider alle Touren um 16.30 Uhr ENDEN. Als wir uns also gerade wieder auf den Rückweg machen wollten, begann es wie aus Eimern an zu schütten und an dem Nationalpark gibt es keinen Taxistand. So mussten wir die durch den strömenden Regen die Straße hinunter laufen, durch die wir gekommen waren. Dabei hielten wir die Daumen nach oben, falls irgendjemand Erbarmen hätte und 4 klitschklatschnasse Jugendliche mitnehmen würde. Nach etwa 15 Minuten war an uns kein Quadratmillimeter mehr trocken, aber tatsächlich hielt ein kleiner Jeep mit Ladefläche an. Ich fragte den Fahrer, ob er uns mitnehmen könnte und das tat er dann zum Glück auch für 2.000 colones. Die Tour haben wir schließlich am dritten Tag nachgeholt und sind dann wieder zurück nach San José gefahren.
In der vergangenen Woche fuhren wir in einer kleinen Gruppe zu einem mehrtägigen Ausflug nach Nicaragua, den meine Austauschorganisation veranstaltete. Nicaragua ist ebenfalls ein wunderschönes Land und auch dort sind die Menschen sehr freundlich und offen. Komischerweise können sich die ticos (Costaricaner) und die nicas (Nicaraguaner) nicht sonderlich gut leiden. Wenn man die Leute aber fragt, woran das liegt, bekommt man ganz unterschiedliche Antworten. Zunächst verstanden wir aber gar nichts, weil sich der Dialekt der nicas stark vom costaricanischen unterscheidet. Das lernen wir hier aber inzwischen alle sehr schnell.
Die Häuser in Nicaragua sind im Gegensatz zu den Häusern in Costa Rica sehr hoch, verfügen jedoch nur über eine Etage. Außerdem sind die Türen immer weit geöffnet, sodass man den Bewohnern beinahe ins Wohnzimmer stolpert. Das erschien uns anfangs merkwürdig, schafft aber auch eine unheimlich offene Atmosphäre in den Orten.
Als wir an unserem letzten Tag in Nicaragua in einem Restaurant zu Abend gegessen hatten und gerade gehen wollten, kam ein Mann mit Krücken und in sehr zerlumpten Sachen an unseren Tisch und begann zu reden und zu singen. Er wollte allerdings gar kein Geld oder Essen von uns, sondern nur, dass wir ihm unsere „Ohren schenken“. Er trug uns Gedichte über Frieden, Freiheit und gutes Essen vor, sang selbstgeschriebene und bekannte Lieder. Einen besseren Abschluss hätten wir uns nicht vorstellen können. Da war es für uns selbstverständlich, dass er unser übrig gebliebenes Essen bekam, das wir extra einpacken ließen und wir gaben ihm das Geld, das wir noch in Cordobas, der nicaraguanische Währung, hatten. Wir haben übrigens den Mann beim Singen gefilmt und das Video ins Internet gestellt – „Freedom by John Oliver“.
Spanisch lernen
Mit der Sprache komme ich schon ganz gut zurecht. Anfangs fiel es mir schwer, weil ich mich nicht wie gewohnt ausdrücken und mitteilen konnte. Inzwischen habe ich das gleiche Problem eher mit meiner Muttersprache, aber das ist nach drei Monaten ganz normal, sagt unsere Betreuerin. Es schwirren einfach zu viele neue Wörter und Erfahrungen gleichzeitig in unseren Köpfen herum.
Vorher in Deutschland habe ich mich immer gefragt, wie ich eine Sprache ohne Übungsblätter, Tafelbilder und einen Lehrer, der auch deutsch spricht, lernen könnte. Es ist ganz einfach: durch SMS und Fernsehen. Das klingt vielleicht im ersten Moment doof, aber es funktioniert, weil man sich beim SMS-schreiben mehr Zeit lassen kann, weil man so die Strukturen in der Grammatik besser erkennt, zum Beispiel Vergangenheits- und Zukunftsformen, und ganz nebenbei lernt man auch noch die Rechtschreibung, weil beim Schreiben nicht genuschelt wird. Ebenso hilft das englische Fernsehen mit den spanischen Untertiteln. Anfangs habe ich nur zugehört, weil ich noch nicht so schnell auf Spanisch lesen konnte und mein Englisch ganz gut ist. Mittlerweile höre und lese ich gleichzeitig, was beide Sprachfähigkeiten bei mir ungemein schult.
Mir war nie bewusst, dass Sprache für unser Wohlbefinden und Selbstbewusstsein so wichtig ist. Ich hatte in der ersten Zeit sogar das Gefühl, gar nicht ich selbst sein zu können, weil ich die Sprache, mit der ich nun täglich konfrontiert werde, kaum beherrschte und nicht wie gewohnt mitreden konnte. Das ist nun schon viel besser geworden, meinen „Normalzustand“ habe ich aber noch nicht ganz erreicht.
Umgewöhnung
Und es gibt auch noch ein paar Dinge, an die ich mich nur schwer gewöhnen kann. Zum Beispiel sind die Menschen hier sehr viel zu Hause. Sie gehen nicht allzu oft mit Freunden aus und es läuft den ganzen Tag über mindestens ein Fernseher. Wenn man aber Toleranz übt und über die Kleinigkeiten großzügig hinwegsieht, stellt man fest, dass die Menschen hier unglaublich freundlich, redselig und hilfsbereit sind.
Die Schule ist ein weiteres spezielles Thema für sich. Ich besuche eine Schule mit über 2.500 Schülern, eine Größenordnung, die hier ganz normal ist. Im Unterricht wird Musik gehört, telefoniert, SMS geschrieben und gequatscht und den Lehrer stört das gar nicht – im Gegenteil: er macht mit. Wenn die Schüler Tests schreiben, dann telefoniert er oder geht einfach ins Nachbarzimmer und redet dort mit einem anderen Lehrer. Ich hab mich sogar mal 2 Stunden lang mit einem Englischlehrer unterhalten und als ich ihn gefragt habe, ob er nicht Unterricht machen müsste, meinte er, dass seine Klasse keine Lust hätte. Und den Lehrstoff, der hier in der 10. oder 11. Klasse behandelt wird, haben wir in Deutschland in der 8. oder 9. Klasse schon gelernt.
Die Gastfamilie
Mein Gastpapa ist einer der lustigsten Menschen, die ich bisher getroffen habe. Obwohl er auf Fotos manchmal etwas grimmig aussieht, bringt er die ganze Familie zum Lachen. Meine Gastmama schmeißt dafür den ganzen Haushalt fast allein. Ich helfe ihr natürlich, aber die Einzigen, die sich dafür auch mal beieinander bedanken, sind meine Gastmama und ich.
Die Kinder helfen meist erst nach mehrmaliger Aufforderung, zum Beispiel das Geschirr abzutrocknen oder den Tisch abzuräumen.Meine Oma ist das Oberhaupt der Familie. Sie ist sehr herzlich, lustig und ganz „pura vida“.
Unsere 2 Hunde Luna und Chiui werden ein wenig wie Geschwister betrachtet und ziemlich verwöhnt, aber natürlich haben sie weniger Rechte.
Alles in allem ist es eine große und glückliche Familie, in der ich gern ein Jahr lang daheim sein möchte.
Gedanken einer Austauschschülerin
Es gibt ein sehr schönes Lied von Gabrielle Aplin, es heißt „Home“. Darin singt sie, dass es ganz egal ist, wo man sich gerade aufhält und wie unwohl man sich manchmal fühlt, wenn man jemanden gefunden hat, den man liebt – sei es in meinem Fall die Gastfamilie oder Freunde für’s Leben. Es ist also gar nicht so wichtig, wo man ist. Man kann überall zu Hause sein. Was das eigentlich bedeutet, hab ich erst wirklich verstanden, nachdem ich schon seit 5 Monaten in Costa Rica bin.
Ich denke zum Beispiel oft an meinen ersten Schultag hier zurück, an dem ich nichts und niemanden verstanden habe. Aber ich merkte natürlich, dass alle über mich redeten. Das war noch schlimmer als mein erster Schultag an einer neuen Schule in der zweiten Klasse in Deutschland. Damals konnte ich mich immerhin verständlich machen und auch die anderen Schüler und die Lehrer verstehen, aber soweit reichte mein Spanisch am Anfang hier nicht.
Und das Erlernen einer neuen Sprache – sozusagen von 0 auf 100 – kostet so viel Energie, dass man abends völlig erschöpft ins Bett fällt, obwohl man eigentlich den ganzen Tag nur im Unterricht gesessen und nicht wirklich etwas verstanden hat.
Nachdem ich diese ersten großen Hürden überwunden hatte, war erstmal alles einfach nur schön. Doch nach ungefähr drei Monaten hatte sich meine rosarote Brille verflüchtigt und der Alltag ist fast unmerklich eingekehrt. Außerdem lernt man Dinge über das Land, die Menschen und die Kultur, die einem zumindest anfangs sehr fremd vorkommen.
Ich musste zum Beispiel lernen, in Diskussionen zum Thema Religion oder Homosexualität und bei abfälligen Bemerkungen über bestimmte „Ausländer“ oder Homosexuelle meine Zunge zu zügeln. Es fällt es mir manchmal wirklich sehr schwer, diese mir so fremden Ansichten einfach als den meinen gleichwertig zu akzeptieren. Wahrscheinlich ist das normal und vielleicht ist es sogar meine Aufgabe, genau diese Toleranz hier zu üben und zu lernen. Wenn man aber doch etwas erwidern möchte, ist es ganz wichtig, seinen Standpunkt so zu präsentieren, dass man den Anderen und seinen Glauben nicht gleich grundsätzlich in Frage stellt, sondern auch ihm und seinem Recht, anders sein zu dürfen, Akzeptanz entgegenbringt. Auf diesem Wege bekam ich die Chance, dass man mir zuhörte und versuchte, auch meine Meinung nachzuvollziehen.
Trotzdem mir hier Vieles so konservativ und manchmal falsch erscheint, habe ich doch festgestellt, dass es auch sehr viele, meist junge Ticos gibt, die sich mit genau diesen Themen kritisch auseinandersetzen und etwas bewegen wollen – wie überall in der Welt.
Es ist schließlich menschlich, dass man sich gegen Neues und Unbekanntes erstmal sträubt aus Angst, es könnte sich etwas negativ verändern. Zudem dauert eine Entwicklung in Richtung Akzeptanz und Integration Andersdenkender oder Andersaussehender in einer Gesellschaft oftmals sehr, sehr lange. Auch Deutschland hat es noch lange nicht geschafft! Überzeugungen lassen sich eben nicht einfach „exportieren“.
Allerdings haben die Ticos natürlich auch sehr liebenswerte Eigenschaften. Sie begegnen jeder Person zuerst freundlich, aufmerksam und hilfsbereit, egal wie sie aussieht.
Fernweh? JuBi!
Und wenn man dann schon eine ganze Weile in dieser Kultur und in ihrem Alltag lebt, gewöhnt man sich nicht nur an die Andersartigkeit, man lernt sie sogar zu lieben – ob man will oder nicht. Es ist wie bei einer richtigen Familie. Mein zweites Zuhause ist hier.
Inzwischen weine ich auch nicht mehr, wenn ich daran denke, wie sehr ich Deutschland vermisse. Ich weine jetzt, wenn ich an den Abschied von meiner Gastfamilie, von meinem besten Freund, von all meinen Mitschülern und meinem großen Freundeskreis hier denke. Sie alle begleiten mich durch dieses ganze wundervolle Jahr, durch alle schönen und schweren Momente, lachen mit mir, schimpfen manchmal und geben mir unendlich viel Mut und Kraft.
Das sind die Dinge, die ich erlebt habe und an denen ich zum Teil ziemlich hart arbeiten musste, die ich lernen und an die ich mich anpassen musste. Das alles habe ich geschafft und es ist wahrscheinlich das Erste in meinem Leben, was ich ohne meine deutsche Familie geschafft habe. Irgendwann ist es normal bestimmte Dinge selbst zu tun, aus Fehlern zu lernen, Konsequenzen zu tragen und Prioritäten zu setzen. Das prägt. Und nach einiger Zeit habe ich gemerkt, dass ich zu Hause bin.
Erlebnisse einer Austauschschülerin
Als die „erste Halbzeit“ meines Austauschjahres zu Ende ging, stand Weihnachten vor der Tür. Zu diesem Fest ist es hier üblich, dass die ganze Familie zusammen kommt. Meine Familie hat die Tradition zu „wichteln“, da wir sehr viele sind und nicht jeder jedem etwas schenken kann. Nach dem Essen kam dann die Bescherung und dann wurde noch stundenlang bis in die Nacht hinein geredet. An diesem Abend gab es außerdem einen Stromausfall. So saßen wir im spärlich-schönen Licht einiger Teelichte und unterhielten uns über Gott und die Welt. Schließlich machten sich die Gäste nach und nach machten auf den Weg zu ihren eigenen Häusern. Als ich mich von meiner schwangeren Gast-Cousine verabschieden wollte, bekam sie ganz plötzlich einen epileptischen Anfall. Ich war wie versteinert vor Schreck und zunächst verstand niemand, was da gerade passierte. Meine Tante und mein Onkel reagierten sehr schnell. Sie halfen ihr und fuhren mit ihr ins Krankenhaus. Dann konnten wir nur noch auf eine SMS oder einen Anruf warten, der uns hoffentlich sagen würde, dass es ihr und ihrem Baby gut geht. Die gute Nachricht kam zum Glück am nächsten Morgen. Das waren mit Abstand die turbulentesten Weihnachten, die ich erlebt habe.
Eigentlich laufen alle Feste so ab, dass die ganze Familie zusammenkommt. Die Ticos haben nicht nur große Familien, sie bleiben auch meistens unter sich und so war es auch zu Silvester bei meinem Onkel in seinem schönen großen Haus im warmen Limón. Wir haben die ganze Nacht getanzt, gelacht und gequatscht. Um Mitternacht haben wir uns in einem großen Kreis aufgestellt und meine Oma hat für jeden einzelnen von uns gebetet. Das hat mich tief bewegt. Danach wurde weiter gefeiert bis wir irgendwann im Morgengrauen alle in die Betten fielen.
Bisher gab es kein Problem mit meiner Familie, das ich nicht lösen konnte. Wir bringen alle viel Verständnis und Geduld füreinander auf. Wenn bei mir in der Schule Examen geschrieben werden, dann bleibe ich meistens zu Hause und bin den ganzen Tag mit meiner Gastmama allein. Dann helfe ich ihr gerne beim Kochen – soweit mein bisher begrenztes Kochtalent das zulässt. Dabei reden wir über die Problemchen oder Neuigkeiten in der Familie und wenn mein Gastpapa von der Arbeit kommt, ist gleich wieder Stimmung und Bambule in der Bude.
Meine „abuelita“, meine Gastoma, ist eine ganz besondere Person. Sie ist die Art Mensch, die sich um jeden kümmert und erst, wenn es allen gut geht, an sich selbst denkt. Vor ein paar Wochen saß ich mit ihr am Mittagstisch und wir sprachen über verschiedene Herzkrankheiten. Da erzählte sie mir, dass ihr Herz zu groß sei, und zwar nicht nur physisch gesehen und das stimmt!
In Costa Rica gehören auch die Hunde zur Familie. Wir haben zwei Hunde: Chiui und Luna. Chiui ist der undankbarste und gemeinste Hund den ich je kennengelernt habe und Luna dagegen die harmoniebedürftigste Hündin, die ich mir vorstellen kann. Wenn wir für ein paar Tage weg sind und niemand daheim ist, versorgt mein Cousin die Hunde mit Essen und Trinken, aber wenn er Chiui ruft, hört man nur ein lautes wütendes Knurren, selbst wenn der Hund ihn noch gar nicht sehen kann.
Die großen Ferien dauern hier ungefähr zwei Monate und liegen um Weihnachten und Neujahr herum – dann ist hier Sommer, obwohl es ja eigentlich immer warm ist. Das sind zwei Monate Zeit, um an traumhafte Strände zu fahren und das Land zu entdecken. Mit fünf anderen deutschen Freunden war ich zum Beispiel für vier Tage in Cahuita und etwas später bin ich mit einer Freundin nach Puerto Viejo gefahren. Dort trafen wir zwei Neuseeländer, die zum Surfen nach Costa Rica gekommen waren. Da lag es nahe, das ich zum ersten Mal in meinem Leben versuchen sollte, auf einem Surfbrett zu stehen und das ging besser, als ich zunächst dachte. Es war so ein großartiges Gefühl von der Welle bis fast wieder an den Strand getragen zu werden! Aber nach den langen Tagen im Wasser und in der prallen Sonne sahen wir aus wie 4 Tomaten am Strand. Am Abend haben wir gemeinsam gekocht und uns bis in die Nacht hinein bei guter Musik unterhalten.
Die letzte Ferienwoche habe ich mit meiner Gastfamilie in Guanacaste verbracht, einem der schönsten Orte in Costa Rica. Wir haben dort die schönsten Strände und jedes Souvenirgeschäft abgeklappert. Nach diesen Ferien brauchte meine von der Sonne gefolterte Haut allerdings einige Zeit, um sich wieder zu beruhigen.
Flora und Fauna
In Costa Rica gibt es unendlich viele und verschiedenste Faultiere. Sie bewegen sich tatsächlich nur seeeehr langsam und mir scheint, dass sie auch im Denken nicht die Schnellsten sind. Es soll schon vorgekommen sein, dass Faultiere ihren eigenen Arm für einen Ast hielten, den richtigen Ast also los ließen, hinunter fielen und sogar dabei ums Leben kamen. Wieder einige von ihnen haben offenbar eine große Vorliebe für Stacheldraht. Sie hängen sich zum Schlafen und Ausruhen einfach mit den Füßen zwischen den Stacheln an den Zaun. Das habe ich selbst gesehen und natürlich gleich fotografiert. Das ist schon wirklich eine sehr spezielle Schöpfung der Natur!
Auch unzählige und wunderschöne Vogelarten kann man hier sehr gut beobachten. Dazu braucht man allerdings etwas Geduld und Zeit. Ich hatte zum Beispiel das Glück, einmal zwei Kolibris in einem Garten beobachten zu können. Dabei konnte ich genau sehen, dass die Zunge dieses Vogels doppelt so lang ist, wie der ohnehin schon sehr lange Schnabel. Es sind sehr schöne und faszinierende Tiere – nicht umsonst zieren sie eine costaricanische Banknote.
Mein Auslandsjahr – Ein Rückblick
Wenn sich das Austauschjahr dem Ende zuneigt, dann kommen oft und von allen Seiten Fragen wie: „Na, freust du dich schon wieder auf Deutschland?“ oder „Willst du überhaupt wieder zurück?“. Die Antwort darauf ist gar nicht so leicht. Natürlich freue ich mich! Aber da ist auch eine große Traurigkeit, weil ich Abschied nehmen muss. Es fällt mir nicht leicht, ein Leben hinter mir zu lassen, das ich mir gerade erst und fast ganz allein aufgebaut habe. Ja, es ist ein ganzes Leben vom „Kleinkindalter“, in dem man die Sprache erst noch lernen musste, bis zum „Teenageralter“, in dem man zur Schule ging und Freunde fand und sogar noch etwas weiter bis zu dem Alter, wo man reift, wirklich erwachsen wird und unheimlich viel über sich selbst erfährt.
Von all dem und von den Menschen, die einem zur Seite standen, muss man sich dann auf einmal wieder trennen und was bleibt, sind Erfahrung, Erinnerungen und Freunde fürs Leben, die man leider zurücklassen muss.
Wenn ich nun auf mein Auslandsjahr zurückschaue, muss ich sagen, dass es die bisher beste Entscheidung meines Lebens war! Obwohl es natürlich Phasen gab, in denen ich am liebsten alles hingeschmissen hätte und zurück nach Hause geflogen wäre. Aber für solche Fälle hatte ich immer das Glück, großartige Freunde zu haben, die mir halfen oder mich für einen Moment meine Sorgen vergessen ließen. Die schwierigste Zeit waren die ersten zwei bis drei Monate, weil ich da noch keine wirklichen Freunde hatte und die Sprache noch nicht sprechen konnte. Manchmal fühlte ich mich dann nicht verstanden oder ausgegrenzt, aber das ging vorüber. Danach wurde ich entspannter bis zu den letzten Wochen, in denen das schwerste allerdings das Abschiedsgefühl war.
Jetzt, nach knapp zwei Wochen wieder in Deutschland, fühle ich mich wieder und immer noch wie in einem Traum. Auch hier sind es gemischte Gefühle. Mal bin ich glücklich über warmes Wasser beim Duschen und mal vermisse ich das schlichte Leben, in dem ich nur das hatte, was ich wirklich brauchte und es eben deswegen zu schätzen wusste und immer noch weiß. Auf der einen Seite stehen all meine „alten“ Freunde und meine Familie und auf der anderen Seite stehen meine Gastfamilie und meine neuen Freunde in Costa Rica, die für mich auch zu einer zweiten Familie geworden sind. Sie alle waren für mich da, wenn es mir nicht gut ging und sie haben mich auf andere Gedanken gebracht, wenn ich Heimweh hatte – was jedoch selten der Fall war und das ist ebenfalls ihnen zu verdanken. Sie waren meine „Ersatzfamilie“ und gehören nun dazu.
Aber ich habe hier wieder neue Ziele, die ich erreichen möchte: das Abitur, also die 11. und die 12. Klasse. Dieses Gefühl hatte ich in Costa Rica so nicht. Es war ein Jahr ohne Schulstress und Probleme, quasi ein Jahr Pause vom deutschen Alltag. Das ist wahrscheinlich die beste Methode, sich zu motivieren, bevor man sich in den Abiturkampf stürzt. Man lernt in diesem Jahr, sich selbst mehr zuzutrauen – sowohl in Prüfungen als auch in solch einfachen Dingen wie dem Ansprechen fremder Leute, wenn man nach dem Weg fragen oder um einen Gefallen bitten muss.
Ich habe auch gelernt, einen schönen Moment vollkommen und wunschlos zu genießen. Viele Menschen jammern immer, dass man erst merkt was man hatte, wenn man es nicht mehr hat. Aber das liegt ja ganz bei einem selbst! Denn wenn man es schafft, die bemerkenswerten und schönen Momente seines Lebens zu erkennen und dann die Ruhe aufbringt, das einfach so wie es ist zu genießen, macht man sich später keine Vorwürfe, sondern kann die Erinnerung einfach behalten und immer wieder genießen. Ich denke da zum Beispiel an Tage und Abende, an denen ich mit Freunden an einem Fluss saß. Wir haben gesungen, einige von uns haben Gitarre gespielt, geredet, oft haben wir auch gezeichnet oder gemalt und immer viel gelacht. Diese Erinnerungen werden mir immer wieder Kraft geben und mich zum Schmunzeln bringen.
An dem Fluss gab es sogar eine kleine Höhle, in die man hinein schwimmen konnte. An der Decke der Höhle wuchsen moosähnliche Algen, die in grün, blau und lila schimmerten. Das sah so schön aus, dass wir ein Foto machen wollten. Aber wir mussten durch den Fluss schwimmen, um zu der Höhle zu gelangen und das wäre meiner Kamera nicht gut bekommen. Luigi, einer meiner neuen Freunde, wollte versuchen, die Kamera über dem Wasser zu halten und damit zur Höhle hinüberzuschwimmen und er schaffte es beinahe. Doch als er die Hälfte des Flusses überquert hatte, fing es plötzlich wie aus Eimern an zu regnen. Luigi – mit der Kamera in der Hand hoch über seinem Kopf – schaute ganz verwirrt drein und wusste gar nicht, was er tun sollte. Wir Anderen am Ufer haben uns kaputtgelacht, weil das so komisch aussah. Die Kamera war danach kaputt und ich um eine wunderschöne und lustige Erinnerung reicher. Das Eine kann man ersetzen, das Andere niemals!
Manchmal trafen wir uns auch im Stadtpark, sind geskatet oder einfach mit den Straßenhunden spazieren gegangen. Leider gibt es fast überall in Costa Rica sehr, sehr viele Straßenhunde und kaum jemanden, der sich um sie kümmert, sie zum Beispiel kastrieren lässt, füttert oder verarztet, wenn sie verletzt und krank sind. Sie werden einfach ignoriert. Dabei sind es oft schöne große Hunde, die in Deutschland sehr beliebt wären. Doch in Costa Rica herrscht eine andere Einstellung zu den Tieren und man geht anders mit seinen Haustieren um als wir das in Deutschland gewohnt sind. Zwei Straßenhunde waren fast jeden Tag unsere Begleiter. Die eine ist ganz weiß, wir haben sie Donni genannt und die andere ist komplett schwarz, sie heißt Anima. Wenn wir abends Pizza essen waren, haben wir uns den Teigrand einpacken lassen und ihn den Hunden gegeben. Wenn man genügend Geduld und Respekt aufbringt und irgendwann einen dieser verängstigten und fast verhungerten Hunde anfassen kann, dann lieben sie einen und saugen jede kleine Streicheleinheit, die sie kriegen können, gierig auf.
Für die letzten drei Wochen meines Austauschjahres kam mich meine Familie besuchen – meine Mama mit ihrem Freund, meine Oma und mein Opa.
Als ich meiner Mama am Flughafen in die Arme fiel, löste sich meine ganze Sehnsucht des Jahres in einem heftigen Schluchzen auf.
Meine Gastfamilie lud uns alle am nächsten Tag zum Abendessen bei meiner Gastoma ein. Das war für mich unheimlich anstrengend, weil ich immer für alle übersetzen musste, aber es war auch total lustig und interessant. Plötzlich treten kulturelle Unterschiede zu Tage, die ich zwar schon kennengelernt hatte, über die ich aber nicht weiter nachgedacht habe. Wenn z. B. jemand einen Scherz über sich selbst macht, ist das für „Ticos“ äußerst peinlich, denn wenn sie ebenfalls darüber lachen, würde das heißen, dass sie sich über den Scherzkeks lustig machen und das erscheint ihnen schrecklich unhöflich.
Ich bin dann für ein paar Tage mit meiner Familie durch Costa Rica gefahren – zuerst nach Tortuguero mit einem Boot über den Fluss an die Atlantikküste, am nächsten Tag wieder zurück und mit dem Auto ins Landesinnere bis nach Sarapiqui, wo wir uns eine Unterkunft suchten.
Was wir fanden, war ein kleiner Traum! Der Besitzer, ein „Tico“, hat ganz versteckt am Stadtrand seinen eigenen kleinen Regenwald angepflanzt und ein paar Häuschen gebaut, die er auch vermietet. Manchmal werden ihm von Einheimischen oder Urlaubern kranke oder verlassene Tiere gebracht, die er dann bei sich und seiner Familie aufnimmt und pflegt, in der Hoffnung, dass sie irgendwann wieder in die Freiheit zurück können. Als wir abends eincheckten und unsere Zimmer bezogen, lud er uns ein, in der Dämmerung „seine“ Frösche zu beobachten. Und da gab es einiges zu sehen!
Er erzählte uns, dass das Weibchen jeden Abend nur ein Männchen „glücklich“ machen kann und zeigte uns, wo es schon einige Eier an einen Stamm geklebt hatte. Er hat sogar einen kleinen Teich angelegt, in dem sich die Kaulquappen des Rotaugenlaubfrosches wohlfühlen.
Außerdem brachte er ein 4 Wochen altes Kinkajou-Baby (dt. Wickelbär) mit, das seine Mutter verloren hatte und nun von ihm und seiner Familie aufgezogen wird. Kinkajous sehen aus wie braune kleine Wiesel, haben aber einen langen Schwanz, mit dem sie sich gut in Bäumen festhalten können. Ich verliebte mich sofort in das Tierchen. Beim Frühstück am nächsten Morgen erzählte er uns, dass sie das Kleine überall gesucht hatten und schon dachten, es sei fort, bis sein Sohn es im Kühlschrank fand, wo es frierend und zitternd vom Obst naschte.
Schließlich ist meine Familie ohne mich weitergefahren – quer durch Costa Rica von der Atlantik- bis an die Pazifikküste, weiter Richtung Süden bis zur Halbinsel Osa und wieder zurück durch die Berge nach San José.
Sie schwärmen alle noch immer von der unglaublichen Pflanzenvielfalt, den unzähligen Tieren, wunderschönen Landschaften und freundlichen Menschen, die sie gesehen haben.
Ich habe mich derweil auf das Ende meines Austauschjahres bei meiner Gastfamilie und meinen Abschied vorbereitet. Dieser Abschied fiel mir ausgesprochen schwer. Auch nach zwei Wochen wieder in Deutschland hoffe ich manchmal, wenn ich morgens aufwache und die Augen aufmache, wieder dort zu sein. Ich vermisse es, Spanisch zu reden oder mir Scherze über meinen Akzent anhören zu müssen. Aber in der vergangenen Woche hat mich hier in Leipzig ein Spanier nach dem Weg gefragt und gestern in einem spanischen Restaurant trafen wir einen Kellner, der sehr gut Spanisch sprach – über so etwas freue ich mich nun riesig!
In Leipzig ist mir jetzt aufgefallen, dass selbst eine relativ große Stadt wie Leipzig im Vergleich zu Guápiles sehr leise ist. Die Menschen sitzen schweigend im Bus oder laufen stumm durch die Straßen. Manchmal hört man zwei oder drei Personen sich leise unterhalten und das strahlt immer eine gewisse Ruhe und Ordnung aus. Auch in einem Kaffee oder einem Restaurant ist nur ein Murmeln zu vernehmen. In Costa Rica dagegen reden die Menschen überall immer sehr laut miteinander. Wenn man dort durch die Straßen läuft, hört man Obsthändler schreien, Kinder toben, Hunde bellen, Jugendliche, die Musik machen oder skaten und schimpfende Autofahrer. Das erweckt den Eindruck von Chaos und Unordnung.
Selbst im Lehrerzimmer der Schule herrscht ein Lautstärkepegel den die meisten deutschen Lehrer wohl keine zehn Minuten ertragen würden.
All diese Dinge bemerkt man eben erst, wenn man sich Neuem und Anderem geöffnet und es kennengelernt hat. Wenn ich so auf das vergangene Jahr zurück schaue, dann hatte ich selbstverständlich Tiefen, aber die Höhen überwiegen um ein Vielfaches. Ich war so glücklich und sorglos, dass es mir schwer fällt, mich wieder auf meinen deutschen Alltag einzulassen. Aber aus den unzähligen schönen Erinnerungen und Erfahrungen kann ich die nötige Kraft schöpfen.
Eure Lea