- WELTBÜRGER-Stifter: YFU
- Programm: Schüleraustausch
- Land: Lettland
- Dauer: 10 Monate
- Name: Nele
„Lettland? Ist das nicht noch hinter Russland?“ „Da wird’s bestimmt ordentlich kalt im Winter!“ „Sprichst du dann da Englisch?“.
Ja, ich bin in Lettland. Dort, wo 1510 der Weihnachtsbaum erfunden wurde. In diesem kleinen Land an der Ostsee zwischen Estland und Litauen. Genau in dem Lettland, das bis zum Jahre 1991 Teil der Sowjetunion war.
Fangen wir mal von vorne an – in Deutschland:
Ehrlich gesagt, hatte ich nicht geplant nach Lettland zu gehen. Was ich wollte, war etwas Neues und etwas Außergewöhnliches und das habe ich auch bekommen! Ich wollte mich auf das Land und die Sprache vorbereiten und habe mich deshalb mit einer wunderbaren Lettin getroffen, die in meiner Heimatstadt wohnt. Sie hat mir schon in Deutschland die lettische Herzlichkeit und überlebenswichtigen Phrasen auf Lettisch vermittelt. Die Vorbereitungstagung, Sommerferien, die Abschiedsparty und somit die letzten Monate vergingen wie im Flug.
Und dann kam er auch schon – der Flug nach Lettland:
Gestartet wurde früh morgens am 21. August von Hamburg aus nach Frankfurt und von dort dann zur „Final Destination“ Riga. Ich bin nicht alleine geflogen und im Nachhinein bin ich froh darüber, denn das Geplauder hat jedem mit der Aufregung geholfen.
In Riga gelandet, wurde ich am Flughafen von meiner Gastmutter, Gastschwester und meinem kleinstem Gastbruder Hugo erwartet. Meine anderen beiden Gastbrüder waren noch bei ihrer Oma zu Besuch. Meine Gastfamilie lebt in einem Vorort von Riga in einem schönen Haus und ich habe mein eigenes kleines Zimmer mit oranger Retrotapete und einem zu kleinen Kleiderschränkchen.
Gerade an diesem Wochenende war in Riga das Stadtfest. Also fuhren wir, meine Gastschwester, eine Gastcousine und ich, kurze Zeit später hin. Dort lernte ich den lettischen Patriotismus kennen, denn sie hielten Fähnchen in den Händen, auf denen wörtlich übersetzt „Ich liebe Riga“ stand.
Am zweiten Tag im Gastland ging es für fünf Tage in ein „Orientationcamp“ mit den anderen Austauschschülern aus Deutschland, Thailand, Belgien und Australien. Wir hatten eine Menge Spaß und haben auch unsere Sprachkenntnisse verbessert, beziehungsweise sie sind dort entstanden. Eine freie Woche blieb mir nach dem Camp noch, in der ich dann meine Gastbrüder Pauls und Emils kennenlernte.
Zeit für den Schulbeginn:
Es war geplant, dass ich mit meiner Gastschwester zusammen in eine Klasse gehe. Also machten wir uns zusammen in Kleidern und Blumen in den Händen auf den Weg zur Schule. Der Weg zur Schule dauert gerade mal fünf bis zehn Minuten zu Fuß. Ein Luxus im Gegensatz zu meinem Schulweg in Deutschland.
In der freien Woche hatte ich schon ein paar Mädchen meiner Klasse kennengelernt, wir haben uns mit ihnen vor der Schule getroffen und sind dann in unseren Klassenraum gegangen. Irgendwann kam die Lehrerin aus einem Nebenraum in das Klassenzimmer und wir sind quasi aufgesprungen um ihr die Blumen zu geben, die wir für sie gekauft hatten.
Als ich ihr meine gab, hat sie mich gefragt, wie ich heiße. „Nili?” „Neeeeeeeeeeeeeeleeee” „Nile?” Ich gebe es auf. Wobei, so schwer ist mein Name gar nicht! Dann hat sie irgendetwas erzählt, über morgen, den Sporttag. Wir sind auf den Sportplatz gegangen, haben da doof rumgestanden und gewartet, dass etwas passiert.
Dann kamen die kleineren Klassen ganz süß zu zweit und in Schuluniform. Die Erstklässler mit den Zwölftklässlern und Luftballons waren als Nächstes an der Reihe, so süß! Nun ja, dann kam irgendeine Rede vom Rektor und die Nationalhymne wurde von irgendeinem Mädchen gesungen und noch mehr gesungen. Es folgten irgendwelche Auszeichnungen und Blumen, Blumen, Blumen. Es sangen die zwei Musiklehrerinnen der Schule und dann wurden die Luftballons freigelassen.
Danach ging es zurück in die Klasse und dann hat die Lehrerin erzählt, bei welchen Lehrern wir Unterricht haben werden. Dann sollten wir uns alle vorstellen und einen „Glückslats“ nehmen. Die waren alle total verwundert, dass ich mich auf Lettisch vorstellen konnte. Lauma (ein Mädchen aus meiner Klasse) hat mir applaudiert!
Als dann alle fertig waren, sind wir hinaus gegangen und haben ein Klassenfoto gemacht! Später sind meine Mitschülerinnen und ich im nahegelegenen Einkaufscenter Sushi essen gegangen. Dann haben wir einen Fisch für unsere Klassenlehrerin gekauft und uns von Kaitje (keine Ahnung, wie man es schreibt) verabschiedet.
Iesvetibas – Oder „lass uns die 10. Klässler quälen!“
Die 10. Klassen werden in der Vidusskola, quasi der Oberstufe begrüßt und leider bin ich dieses Jahr in einer der zwei zehnten Klassen und so wurden wir von den Zwölftklässlern gequält. Etwa eine Woche vor dem Tag des Grauens wurde uns unser Thema genannt – Bomsi (in etwa zu übersetzen mit Obdachlose oder Bettler). Wir mussten uns dem Thema gerecht kleiden und mir wurde etwa zehnmal gesagt, ich solle mir bloß alte Klamotten anziehen, denn es könnte ziemlich ekelhaft werden.
Fernweh? JuBi!
Dann kam der Tag und wir wurden aus dem Englischunterricht herausgeholt und unsere Schultaschen wurden gegen Maximatüten (mit Alditüten vergleichbar) eingetauscht. Unsere Gesichter wurden bemalt, und das war eigentlich auch noch recht lustig.
In den Pausen mussten wir zu diversen Spielen antanzen, z.B. „Wer baut das schönste Haus aus Pappe“ oder „Rollt durch die halbe Schule bis in die Mensa um dort „lecker“ Suppe zu essen“ Die Suppe war wirklich ekelhaft, aber wir mussten sie ja schließlich essen! Der Tag endete mit 10 Goldenen Regeln, die die Zwölftklässler aufgestellt hatten. Unter Anderem sollen wir ihnen immer Benzin in die Tanks gießen und ihre Bücher tragen. Als ob wir das jemals tun würden!
Mal etwas allgemeiner zur Schule und zum Unterricht in Lettland
Wie schon gesagt, gehe ich hier in Lettland in die 10. Klasse. Das ist das 1. Jahr in der „Oberstufe“ und deshalb stehen keine wichtigen Prüfungen oder ähnliches an. Es wird alles etwas lockerer gesehen. An meiner Schule, beziehungsweise an fast allen Schulen in Lettland, unterrichten fast nur Lehrerinnen. Das liegt daran, dass die Menschen in Lettland mit dem Einkommen eines Lehrers keine Familie ernähren können. Männer, die Lehrer sind, haben keinen guten Ruf.
Der Unterricht wird ziemlich frontal gestaltet. Oft erzählen die Lehrer einfach nur und man muss selbstständig mitschreiben. Außerdem gibt es nicht selten unangemeldete Tests, die dann benotet werden. Die Noten werden in Lettland meist durch die „e-klase“ verwaltet. Das ist eine Internetseite, auf der die Lehrer die Noten eintragen, und die Schüler und Eltern sie anschauen können.
Dort zählen alle Noten gleich, egal, ob es eine 2-stündige Klausur oder ein 10-minütiger Test war. Die Zensuren in Lettland reichen von einer 1 für „sehr,sehr schwach“ bis zur 10 für „brilliant“. Und falls jemandem seine Note mal nicht gefällt, ist es gar kein Problem sie zu verbessern. Man schreibt die Arbeit oder den Test einfach noch einmal.
Hokej – der Nationalsport der Letten
Natürlich musste ich auch zu mehreren Spielen von Dinamo Rigas gehen und ich muss sagen, die Atmosphäre ist fantastisch! Mir persönlich ist das Spiel aber zu aggressiv und ehrlich gesagt, tun mir die Spieler teilweise leid.
Aber das hielt (Hockeysaison ist leider schon vorbei) mich nicht davon ab, mir die Spiele live in der Arena Riga anzusehen. Sehr spannend war vor allem das Playoffspiel gegen Dinamo Moskau! Zu diesem Event gab es für alle Zuschauer T-Shirts und die ganze Arena Riga war quasi weiß-rot! Das Spiel war mit sehr vielen Raufereien versehen, aber immerhin hat die lettische Mannschaft mit 5:1 gesiegt.
Meterhoher Schnee und eine zugefrorene Ostsee
Der Winter begann schon im November und scheint auch erst mal nicht zu enden. Gerade ist es Mitte Februar und der Schnee war in der Zwischenzeit schon ein bisschen geschmolzen. Die Grade hatten den Nullpunkt überschritten und dann kam ein zweiter Wintereinbruch.
Mir macht der Winter Spaß und ich habe mich an die Kälte gewöhnt. Die Schule fällt in Lettland übrigens erst aus, wenn das Thermometer -25 Grad anzeigt, und nicht wie bei uns, wenn Schnee angesagt ist. Das heißt aber nicht, dass die Schule geschlossen ist. Die Lehrer müssen zur Schule fahren und die Schüler, die nicht da sind, brauchen trotzdem eine Entschuldigung der Eltern. Deshalb gingen Patricija und ich auch in die Schule und folglich saßen wir zu sechst in der Klasse.
Die Letten lieben Wintersport und so wird sehr viel Ski gefahren, sogar in der Schule im Sportunterricht. Ich habe gelernt, wie man richtig Skilanglauf fährt und mir gefällt das wirklich wahnsinnig gut.
Das Erstaunlichste ist natürlich, dass die Letten auch die Bergabfahrt lieben. Aber von welchen Bergen denn? Der höchste lettische Berg ist der 311 Meter hohe Gaizina Kalns, wobei das nicht gerade hoch ist. Aber da ich in der Norddeutschen Geest geboren und aufgewachsen bin, kenne ich Berge sowieso nicht. Ich versuchte mich also am Snowboarden und habe gnadenlos versagt. Ich hab’s immerhin versucht!
Eine Zusammenfassung nach der ersten Hälfte
Inzwischen habe ich die anfänglichen Probleme (Verständigungs-–, Orientierungs-, und auch „Oh mein Gott, ich kenne niemanden“-Probleme) hinter mich gebracht und es macht richtig Spaß, hier zu sein. Am Anfang wusste ich selten über etwas Bescheid. Ich musste meistens alles zweimal fragen, weil mich entweder niemand verstanden hat, oder ich niemanden verstanden habe.
Ich habe mich jetzt eingelebt, die Tage sind mittlerweile gleich geworden. Lettisch spreche ich inzwischen wirklich gut. Ich freue mich immer wieder darüber, mit allen Lettisch sprechen zu können und nicht auf Englisch ausweichen zu müssen. In meiner Gastfamilie fühle ich mich mittlerweile wie ein richtiges Familienmitglied.
Meine Gastbrüder sind zwar im einen Moment zuckersüß, aber schon im anderen Moment möchte ich, dass sie sich in Luft auflösen. Ich freue mich, dass ich noch fünf Monate hier in Lettland verbringen kann, aber werde sicherlich auch glücklich sein, wieder nach Hause zu kommen.