- WELTBÜRGER-Stifter: weltweiser
- Programm: Schüleraustausch
- Land: Kanada
- Dauer: 5 Monate
- Name: Moana
Es fällt mir sehr schwer zu glauben, dass ich inzwischen schon ganze fünf Monate in Kanada bin. Ich kann mich noch lebhaft daran erinnern, wie ich mich am Berliner Flughafen unglaublich nervös von meiner Familie verabschiedet habe. Ich hatte zwar schon seit einigen Wochen Kontakt zu meiner Gastmutter, mit der ich mich auf Anhieb sehr gut verstand, jedoch half mir das auch nicht gegen die nervöse Übelkeit, die sich in mir breitmachte, als ich in den Flieger stieg. Als ich um 00.06 Uhr in St. John am Flughafen in Kanada angekommen bin, ging es mir diesbezüglich nicht viel besser, vor allem da ich nach 22 Stunden Flug kaum noch in der Lage war einen klaren Gedanken zu fassen. Der Flughafen ist so klein, dass wir unsere Gastfamilien schon einige Sekunden, nachdem wir ins Gebäude gegangen sind, sehen konnten. Hinter einer Glaswand standen die meisten Gasteltern und -geschwister, sogar ein paar Gastgroßeltern. Als sie uns sehen konnten, fingen sie an zu klatschen und zu rufen, ein paar machten Fotos oder hüpften aufgeregt auf der Stelle. Durch die Glasscheibe habe auch ich den ersten Blick auf meine Gastmutter Jillian und meine Gastschwester Cassidy erhascht. Sie hielten ein Schild mit der Aufschrift “Welcome in Canada, Moana“ in den Händen, und fingen sofort an zu winken, als sie mich sahen. Sie begrüßten mich sehr herzlich und verfrachteten mich dann erst einmal ins Bett, wo ich mich ordentlich ausschlief.
Am nächsten Morgen wurde ich dann richtig ins Familienleben eingeführt. Obwohl es erst einmal sehr merkwürdig für mich war, in einem fremden Haus zu leben und dort meinem Alltag nachzugehen, habe ich mich in meiner Gastfamilie sehr schnell wohlgefühlt, und inzwischen fühle ich mich hier wie zuhause! Meine Gastmutter ist so etwas wie eine kanadische Wonder Woman! Sie ist alleinerziehend und arbeitet unglaublich viel, und ist trotzdem immer gut drauf und kaum gestresst. Sie nimmt jedes Jahr zwei Austauschschüler auf, und hilft ihnen mit allem was anfällt. Und zusätzlich organisiert sie eine ganze Reihe von Aktivitäten. An den Wochenenden gehen wir zum Beispiel häufig wandern, und die wunderschöne Natur versetzt mich regelmäßig ins Staunen. Es macht überhaupt keinen Unterschied, ob wir am Strand, im Wald oder auf verschneiten Feldern unterwegs sind, die Landschaft ist immer atemberaubend und veranlasst dazu, Tausende von Fotos zu machen.
Unter der Woche essen wir immer zusammen, schauen Fernsehen oder spielen Gesellschaftsspiele. Die meiste Zeit verbringen wir aber wahrscheinlich damit, über die Katzen zu reden, von denen wir alle regelrecht besessen sind! Meine Gastmutter hat vier Katzen, einen Hund, vier Hühner und ein Kaninchen – ihre beste Freundin bezeichnet unser Haus immer als ‚funny farm‘. Einen Monat nach mir kam meine erste Gastschwester an. Ana blieb leider nur vier Monate und ist inzwischen schon wieder zurück in Brasilien – der Tag, an dem sie geflogen ist, war einer der traurigsten in meinen fünf Monaten hier! Ihre Ankunft markierte für mich einen richtigen Wendepunkt, denn da ich mich hier inzwischen schon auskannte, war ich auf einmal eine Art ‚große Schwester‘ und konnte Ana dabei helfen sich einzuleben. Ich habe ihr alles erklärt, was meine Gastmutter mir in den ersten Tagen erklärt hat, habe ihr die Schule gezeigt und ihr geholfen im Unterricht den Anschluss zu finden, der ja bereits einen Monat zuvor angefangen hatte. Irgendwie hat mir das nicht mehr die Zeit dazu gelassen, selber unsicher oder schüchtern zu sein. Erst dadurch bin ich hier richtig angekommen und mit Allem warm geworden. Jetzt gerade mache ich dasselbe für meine neue Gastschwester Kely, die vor zwei Wochen in Kanada angekommen ist. Da ihr Englisch nicht besonders gut ist, stellt mich das immer wieder vor größere Herausforderungen, aber das gehört als Austauschschüler nun mal dazu.
Sehr freundlich begrüßt wurde ich nicht nur in meiner Gastfamilie, sondern auch an meinen ersten Schultagen! Da ich vor Kurzem die Schule gewechselt habe, weil meine Gastfamilie umzieht, hatte ich tatsächlich zwei erste Schultage. Lehrer wie Schüler sind hier sehr freundlich und hilfsbereit. Besonders meine erste Schule war mit über eintausend Schülern sehr groß, und die ersten Wochen musste ich ständig nach dem Weg zu meinen Klassenzimmern fragen. Doch zum Glück bekam ich ständig von allen Seiten Hilfe angeboten. Dadurch war es nicht sehr schwierig sich in den Schulalltag einzuleben, der doch sehr unterschiedlich von dem deutschen ist. Man hat hier eine sehr große Auswahl bei der Fächerwahl. Soziologie, Journalismus, Kochen, Yoga, Medien, Design – die Liste ist endlos! Da ist es gerade zu schade, dass man nur fünf Fächer pro Semester hat. Hier hat man nämlich jeden Tag den gleichen Stundenplan. Einerseits langweilig, aber andererseits kommt man in den Fächern dadurch auch sehr viel schneller voran. Und als internationaler Schüler hat man viele Freiheiten bei der Kurswahl, da man nicht darauf achten muss, ob man ein Fach für den Schulabschluss braucht. So konnte ich zum Beispiel Mathe für Mandarin tauschen, und so lerne ich nebenbei auch noch einiges über die chinesische Kultur.
Auch sonst macht die Schule hier häufig richtig Spaß, schon allein durch den starken School Spirit! Wenn das Football- oder Eishockey-Team spielt, tragen alle Schüler die Schulfarben, um ihre Unterstützung zu zeigen und bei speziellen Events springt jemand im Kostüm des Schulmaskottchens herum. Auch sonst ist die Schule sehr engagiert und veranstaltet viele Ereignisse. Am “Pink-Day“ habe ich einen der verrücktesten Schultage meines Lebens erlebt: Um für Brustkrebskranke Spenden zu sammeln, gab es den ganzen Tag über Stände, die Essen oder pinke Armbänder verkauften, und in den Pausen wurde unglaublich laute Musik gespielt, damit Schüler dafür bezahlen, dass sie abgestellt wird. Das Witzigste ist aber, dass wirklich jeder einzelne Schüler von Kopf bis Fuß in pink gekleidet war! Am Ende des Tages wurden sogar die pinkesten Personen aus jedem Jahrgang gewählt, die dann einem Lehrer eine Torte ins Gesicht schmeißen durften.
Auch die meisten Freizeitangebote werden von der Schule organisiert. Am Anfang des Jahres bin ich kurzerhand mit zwei anderen Austauschschülern dem Fieldhockey-Team beigetreten. Der Vorteil bei diesem Sport war, dass es keine Tryouts und keinen großen Druck zu gewinnen gab, es lief eher nach dem Motto „Hauptsache es macht Spaß“. Der Nachteil: Wir haben noch nie zuvor Hockey gespielt und hatten eigentlich generell keine Ahnung von irgendetwas. Darüber hat sich unser Trainer aber keine großen Sorgen gemacht und uns alle drei beim ersten Spiel direkt eingesetzt. Obwohl mich das anfangs sehr nervös gemacht hat, war es letzten Endes kein großes Problem. Die älteren Spielerinnen standen uns immer zur Seite, und Niemand war uns böse, wenn wir etwas falsch gemacht haben. Mit der Zeit habe ich richtigen Spaß an Fieldhockey entwickelt, und als die Saison vorbei war, war ich wirklich enttäuscht. Aber zum Glück gibt es hier genügend Angebote um sich das ganze Jahr über beschäftigt zu halten! Zum Beispiel war ich in meiner alten Schule in der Band, und an meiner neuen Schule bin ich bereits für das Musical angemeldet, bin im Chor und will dem Rugby- und Volleyballteam beitreten – wir werden sehen wie die Tryouts laufen, ich habe beide Sportarten noch nie zuvor gespielt. Damit wäre ich zwar so ziemlich durchgehend beschäftigt, aber in vieles involviert zu sein ist die beste Möglichkeit, Freunde zu finden, und außerdem das Nummer-Eins-Mittel gegen Heimweh. Und ich bin schließlich nicht in Kanada um die ganze Zeit zu Hause zu sitzen, sondern um Neues auszuprobieren und Erfahrungen zu machen!
Was für mich anfangs sehr ungewohnt war, ist, dass Freundlichkeit und Höflichkeit für die meisten Kanadier extrem wichtig sind! Egal wo man ist oder mit wem man redet, es wird sich immer einen schönen Tag gewünscht, sich angelächelt und entschuldigt, auch wenn niemand etwas falsch gemacht hat. In der Schule ist es manchmal sehr verwirrend, weil es schwierig ist zu unterscheiden, wann Leute mit einem befreundet sein wollen, und wann sie einfach nur höflich sind. Anfangs kam mir das alles etwas aufgesetzt vor, doch inzwischen ist es vollkommen normal für mich, mit der Schulbusfahrerin befreundet zu sein und dass die Direktorin jeden Morgen am Schuleingang steht, um allen Schülern einzeln einen guten Morgen zu wünschen. Man muss nur sehr darauf aufpassen, dass man die Höflichkeit auch immer erwidert, denn Kanadier sehen es nicht gerne, wenn ihre Mühen nicht wertgeschätzt werden.
Das einzige, was mir an Kanada gar nicht gefällt, ist, dass man immer überall hingefahren werden muss. In Berlin kann ich überall mit dem Fahrrad oder öffentlichen Verkehrsmitteln hinkommen, wodurch ich mehr oder weniger hingehen kann, wo immer ich hin will. Hier hingegen bin ich sehr auf meine Gastmutter angewiesen. Dadurch muss man sehr darauf achten, immer rechtzeitig Bescheid zu sagen, wenn man Pläne macht, und manchmal kann ich mich auch gar nicht mit Freunden treffen, weil meine Gastmutter keine Zeit hat mich zu fahren. Ich persönlich finde das sehr nervig, und häufig auch unangenehm, da ich nicht ständig fragen will, ob ich irgendwo hingefahren werden kann, wenn meine Gastmutter doch immer schon so viel zu tun hat.
Eines der Dinge, die ich hingegen sehr an Kanada liebe, ist, dass es unglaublich multikulturell ist! An beiden meinen Schulen gibt es eine ganze Menge Austauschschüler und auch Schüler, die aus anderen Ländern hergezogen sind. Zusammen bilden wir eine eigene, kleine, internationale Community. Ich habe inzwischen Freunde aus allen Ecken der Welt gefunden – aus der Türkei, Brasilien, Korea, Spanien, Israel, Jamaika und. Es ist eine richtig tolle Erfahrung für mich, so viele unterschiedliche Kulturen kennenzulernen, und es fühlt sich fast so an, als ob ich mein Auslandsjahr in der ganzen Welt verbringen würde. Meine beiden besten Freundinnen kommen aus Spanien und auch mit meiner brasilianischen Gastschwester Ana habe ich mich großartig verstanden! Häufig verbringe ich sogar mehr Zeit mit internationalen Schülern als mit Kanadiern. Von daher kann ich Kanada alles Austauschschülern empfehlen, die gerne viele unterschiedliche Kulturen erleben wollen!
Im Großen und Ganzen muss ich sagen, dass mein Auslandsjahr geradezu unheimlich glatt verläuft. Natürlich gab es immer mal wieder schwierige Situation, wie zum Beispiel als ich das erste Mal eine Auseinandersetzung mit meiner Gastmutter hatte. Oder als mein Stiefvater in Deutschland im Krankenhaus lag, und ich nicht da war um meine Familie zu unterstützen. Und natürlich vermisse ich meine Freunde und Familie, genauso wie ich von meinen Eltern gekochtes Essen und die Möglichkeit vor die Tür zu gehen ohne im Schnee zu versinken vermisse. Aber ich muss ganz ehrlich sagen, dass es genau diese Momente sind, die mich hier voran bringen. Die kleinen Schwierigkeiten können nervenaufreibend sein, aber sie haben mir gezeigt, dass ich mit ihnen umgehen kann. Für mich ist Kanada ein richtiges Zuhause geworden, und ich weiß jetzt schon, dass ich meine neuen Freunde, meine Gastfamilie, den Schnee, meine Schule und die Natur hier genauso vermissen werde – wenn nicht sogar mehr 🙂
P.S: Die Gastschwester einer Freundin von mir hat einen YouTube Kanal und hat zwei Videos über Wanderungen gemacht, auf denen wir gemeinsam waren. Falls ihr einen Eindruck von unseren Abenteuern bekommen wollt, dann schaut doch mal rein.
Icecaves (Anfang Januar): https://www.youtube.com/watch?v=kq-1v3C3NLc
Ministers Island (mein erstes Wochenende): https://www.youtube.com/watch?v=Z2t5uTk2DkU
Ein unerwartetes Ende – Covid-19 im Auslandsjahr
Sechs Monate und 23 Tage habe ich in Kanada verbracht. 10 Monate wollte ich eigentlich bleiben, und selbst das kam mir häufig viel zu kurz vor. Wegen dem Corona-Virus hat meine Organisation im März beschlossen alle Austauschprogramme frühzeitig zu beenden. Eine Entscheidung, die sicherlich Sinn ergeben hat, jedoch trotzdem sehr enttäuschend für mich war. Jetzt, wieder in Deutschland, versuche ich dankbar für die Zeit zu sein, die ich in Kanada hatte, schließlich hätte das Ganze auch schon viel früher passieren können. Und ja, ich bin wirklich froh, dass ich diese unglaubliche Gelegenheit hatte. In Kanada habe ich so viel erlebt und so viele tolle Menschen getroffen, dass ich diese Gelegenheit um nichts in der Welt hätte verpassen wollen. Ich weiß wie viel Glück ich hatte, so eine Erfahrung zu machen. Trotzdem muss ich ständig an all die Pläne denken, aus denen nichts mehr geworden ist. Bevor ich nach Hause geschickt wurde, steckten wir zum Beispiel mitten in den Vorbereitungen für ein Musical und die Rugby Saison, woraus nichts mehr geworden ist. Ich wollte mit meinen Freunden auf eine Radtour gehen und unsere Geburtstage feiern. Meine Gastmutter hatte mir zu Weihnachten eine Reise nach Prince Edward Island geschenkt, wo ich schon seit langer Zeit einmal hinwollte. Alle diese Dinge sind wegen dem Virus ausgefallen und diese Möglichkeiten werde ich auch nicht wieder zurück bekommen. Kanada zu verlassen wäre mir eh schon sehr schwer gefallen, doch drei Monate früher als geplant Abschied zu nehmen war noch einmal so viel schwerer.
Ich kann mich noch ziemlich genau daran erinnern, wie ich von dem ersten Corona-Virus-Fall in Deutschland gelesen habe. Auf der anderen Seite des Atlantiks fühlte sich das alles sehr weit weg an, und ich dachte es wäre völlig übertrieben, so einen Wirbel darum zu machen. Ich hätte mir niemals erträumen können, wie weit das alles gehen würde. Die nächsten Monate über habe ich die Nachrichten aus Europa mal mehr, mal weniger aufmerksam verfolgt. In Kanada war das Thema anfangs nicht sehr präsent, jedenfalls habe ich davon kaum etwas mitbekommen. Darüber geredet wurde kaum, und wenn dann eher scherzhaft. Jedenfalls bis zu den Ferien Anfang März. Da während dieser Zeit viele Familien Urlaub im Ausland machen, schoss die Anzahl der Corona-Fälle in Kanada danach in die Höhe. Die meisten Fälle traten in British Columbia und Ontario auf, nach kurzer Zeit waren auch die ersten Personen in New Brunswick betroffen, der Provinz in der ich wohnte. Und das war der Zeitpunkt ab dem sich alles veränderte. Auf einmal war Corona alles worüber geredet wurde. Meine Gastmutter bekam ständig Anrufe von ihrer besten Freundin, die sie über neue Fälle in der Gegend informierte. In der Schule gab es mehrmals täglich die Ansage, dass alle, die in den Ferien außerhalb von Kanada unterwegs waren, sich im Sekretariat melden sollten. Daraufhin wurde eine ganze Reihe von Schülern für zwei Wochen unter Quarantäne gestellt. Viele meiner Freunde machten Witze darüber, dass sie auch gerne für zwei Wochen zuhause bleiben würden, doch das war nicht unbedingt meine Hauptsorge. Ich hatte nämlich inzwischen von Austauschschülern meiner Organisation gehört, die aus den USA nach Hause geschickt wurden. Ich wusste, dass bereits alle Programme in China, Italien und Frankreich beendet wurden, doch das erschien mir alles so weit weg. Auf einmal fing ich an darüber nachzudenken, ob Kanada vielleicht als nächstes dran wäre. Meine Gastmutter beruhigte mich ersteinmal. Es würde doch keinen Sinn ergeben mich nach Deutschland zu schicken, wenn es allein in Berlin mehr Fälle gibt als in ganz Kanada, oder?
Auch von meiner Organisation bekam ich ersteinmal gute Nachrichten: „Zum jetzigen Zeitpunkt gehen wir davon aus, dass Moanas Austauschjahr in Kanada fortgesetzt wird.“ Es ergab ja auch Sinn, in New Brunswick gab es schließlich gerademal 10 Fälle. Diese Versicherungen stimmten mich ersteinmal positiv, so richtig ließ mich die Sorge jedoch nicht los, denn die Kanadier reagierten auf die Situation sehr viel schneller als viele andere Länder. Am Freitag nach den Ferien bekamen wir die Nachricht, dass alle Klubs vorerst verboten wurden. Für mich hieß das also erstmal kein Musical, Chor oder Rugby mehr. Allein das stimmte mich schon sehr traurig. Rugby und Musical sind schließlich Dinge, die man in Deutschland nicht sehr häufig machen kann – für mich also once-in-a-lifetime opportunities, wie meine Gastmutter sagte. Die Lehrer waren jedoch zuversichtlich, dass wir unsere Aktivitäten bald wieder aufnehmen könnten, also machte ich mir keine allzu großen Sorgen darüber. Es gab schon länger Gerüchte, dass die Schulen vielleicht geschlossen werden, und am Samstag bekamen wir die Bestätigung: Alle Schulen in New Brunswick wurden für zwei Wochen geschlossen. Ohne es zu wissen erlebte ich also meinen letzten Schultag in Kanada. So hatte ich noch nicht einmal die Möglichkeit, mich von meinen Lehrern und Freunden zu verabschieden, denn meine Koordinatorin vor Ort gab uns die Nachricht, dass es allen Austauschschülern verboten wurde, Leute zu treffen, die nicht zu ihren Gastfamilien gehörten. Ich hätte mich so gerne richtig von meinen Freunden verabschiedet. Schließlich habe ich bei vielen keine Ahnung wann – oder ob – ich sie wiedersehen werde. Es macht mich immernoch unglaublich traurig darüber nachzudenken, dass uns die Möglichkeit genommen wurde, uns richtig zu verabschieden.
Die Nachricht, dass mein Austauschprogramm beendet wird, habe ich am 16. März, dem Montag nach der Schulschließung bekommen. Genau vier Tage nachdem mir gesagt wurde, dass ich noch bleiben könnte und mir keine Sorgen machen müsste. Da es uns Austauschschülern verboten wurde in Geschäfte zu gehen, haben meine Gastschwester und ich im Auto auf unsere Gastmutter gewartet, als ich die Mail bekommen habe. Ich war völlig aufgelöst und war fast nicht dazu in der Lage meiner Gastschwester den Grund dafür zu erklären, dass ich auf einmal weinend im Wagen sitze. Ich glaube, ich habe fast den ganzen Tag über nicht damit aufgehört. Die folgende Woche war definitiv die schlimmste meines Auslandsjahres.
Ich bin nie wirklich davon ausgegangen, dass meine Zeit in Kanada ohne Probleme verläuft. Dass die Probleme jedoch aufgrund einer weltweiten Pandemie auftreten würden, hätte ich wirklich nie erwartet. Es kommt mir jetzt noch häufig total unwirklich vor, doch gerade da es so unerwartet kam, war es so eine schwierige Situation für mich. Ich musste mich nicht nur an den Gedanken gewöhnen, dass ich meine Freunde nicht noch einmal sehen würde, und wie viele Dinge ausfallen würden, auf die ich mich unglaublich gefreut habe. Dazu kam auch noch, dass ich keine Ahnung hatte, wie es weiter gehen wird. Meine Organisation hat mir zwar gesagt, dass mein Programm beendet wird, jedoch bekam ich keinerlei Informationen darüber, wann ich fliegen werde oder ob es überhaupt noch möglich ist, Flüge zu buchen. Statt klare Ansagen zu machen, hat meine Organisation sogar behauptet, wir hätten vielleicht doch die Möglichkeit zu bleiben, nur um das kurze Zeit später wieder zurückzunehmen. Uns wurde gesagt, dass wir uns sicherhalthalber für den Flug bereithalten sollen, also saß ich über eine Woche buchstäblich auf gepackten Koffern. Ständig habe ich gedacht, ich bekomme gleich die Nachricht, dass ich heute noch zum Flughafen muss. Diese Unsicherheit hat mich total verrückt gemacht und auch für meine Eltern und Gastfamilie war es eine nervenaufreibende Situation. Ich persönlich war die ganze Zeit hin und hergerissen zwischen dem Gefühl, so lange wie möglich da bleiben zu wollen und endlich meine Flugdaten bekommen zu wollen, damit diese quälende Ungewissheit vorbei ist. Ich wollte zwar meine letzten Tage in Kanada genießen, doch war ich so angespannt und emotional überfordert mit der Situation, dass mir das kaum möglich war. In all dem Stress war ich wirklich froh, dass meine Gastmutter mit der Situation recht entspannt umgegangen ist. Sie hat mir sogar erlaubt, meine zwei engsten Freundinnen noch einmal zu treffen, damit ich mich wenigsten von ihnen verabschieden konnte. Letztendlich habe ich am Abend vorher erfahren wann ich fliegen werde. Als ich mich am Flughafen von meiner Gastfamilie verabschiedet habe, viel es mir schwer zu realisieren, dass ich wirklich zurück nach Deutschland fliege. Viel mehr kam es mir so vor, als ob ich sie alle am nächsten Tag wieder sehen würde.
In Berlin angekommen war ich ersteinmal erleichtert, den Stress der letzten Tage hinter mir lassen zu können. Es war schön und ein bisschen surreal meine Eltern nach sieben Monaten wieder zu sehen, auch wenn es nicht so ablief wie ich es mir immer vorgestellt hatte. Statt mich alle zusammen zu begrüßen, habe ich meine Mutter am Flughafen in Frankfurt getroffen (da meine Organisation keinen Flug nach Berlin gebucht hat), meinen Vater am Bahnhof in Berlin und meinen Stiefvater als ich endlich zuhause angekommen bin. Meine Freunde habe ich erst nach zwei Wochen alle einzeln treffen können. Es war sehr merkwürdig unter solchen Umständen anzukommen. Wie begrüßt man nach sieben Monaten seine Freunde, wenn man sich nicht einmal umarmen darf? Wie soll man richtig zuhause ankommen, wenn man die ersten zwei Wochen in Isolation ist? Was macht man in diesen zwei Wochen zuhause, wenn man nichts für die Schule oder sonst irgendetwas zu tun hat? Ich habe versucht, das beste aus der Situation zu machen. Ich habe Zeit mit meiner Familie verbracht, mit Freunden (sowohl aus Deutschland, als auch aus dem Ausland) telefoniert, meine Fotos aus Kanada sortiert. Trotzdem fühlte sich in den ersten Tagen alles irgendwie falsch an. Ich hatte immer wieder den Gedanken, dass ich noch in Kanada sein sollte, dass ich hier irgendwie fehl am Platz bin. Ich bin mir nicht sicher, ob es daran lag, dass ich noch nicht darauf vorbereitet war, zurück zu kommen, oder dass ich mich im letzten Jahr einfach verändert habe. Wahrscheinlich war es eine Mischung aus beidem. In gewisser Maßen war es, wie in meinen ersten Wochen im Ausland, ein umgekehrter Kulturschock.
Ich musste mich wieder an mein altes Leben gewöhnen, und gleichzeitig eine Möglichkeit finden, die Person darin einzubauen, die ich in Kanada war. Das fällt mir besonders im Umgang mit meinen Freunden und Eltern immer wieder schwer. Es ist so einfach wieder in unsere alten Verhaltensmuster zu fallen, gleichzeitig fühle ich mich dabei immer merkwürdig. Ich glaube, das geht den meisten AustauschschülerInnen so, die aus ihrem Gastland zurück kommen. Und dadurch das mein Auslandsaufenthalt so überstürzt beendet wurde, ist es für mich nocheimal viel stärker zu spüren. Meine Organisation hat gesagt, dass man für eine Weile „in einem Niemandsland zwischen zwei Welten“ lebt. Das spiegelt meine Gefühle momentan ziemlich gut wieder. Ich bin nicht mehr richtig in Kanada, aber auch noch nicht wirklich in Deutschland angekommen. Eine Sache, die mir besonders aufgefallen ist, war, dass ich mich in meinem alten Zimmer sehr unwohl gefühlt habe. Irgendwie passte es nicht mehr richtig zu mir, weshalb ich es gleich an einem meiner ersten Tage umgestaltet habe. Wieder durchgehend deutsch zu sprechen war ebenfalls sehr ungewohnt. Es fiel mir zwar mehr oder weniger leicht mich wieder in die Sprache einzufinden, jedoch habe ich häufiger Wortfindungsschwierigkeiten und denke auch einen Monat später noch viel auf Englisch. Besonders wenn ich mich mit Freunden aus Kanada unterhalte oder auf Englisch lese, brauche ich immer eine Weile, bis ich mich wieder auf Deutsch eigestellt habe.
Meine Schule in Kanada hat erst nach Ostern mit Online Unterricht angefangen, zu dem Zeitpunkt war ich also schon längst wieder in Deutschland. Von meiner Koordinatorin habe ich die Nachricht erhalten, dass auch ich die Möglichkeit habe, daran teilzunehmen. Da ich hier nicht wieder zur Schule gehe, habe ich mich damit sofort einverstanden erklärt. Das Homeschooling Angebot meiner Schule ist ziemlich entspannt. Am Anfang der Woche bekomme ich für jedes meiner Fächer Aufgaben, die etwa zweieinhalb Stunden dauern sollen. Da man in Kanada nur fünf Fächer pro Semester hat, sucht man sich jeden Tag ein Fach aus und erledigt dazu alle Aufgaben. Außerdem wird allen Schülern empfohlen, jeden Tag eine halbe Stunde Sport zu machen und zu lesen. Anfangs hatte ich Schwierigkeiten damit, mich an diese Art des Unterrichtes zu gewöhnen, doch die Lehrer sind alle sehr freundlich und hilfsbereit. Sie alle sagten mir, dass ich mich nicht darüber stressen soll, und nur das tun muss, wozu ich mich in der Lage fühle. Da viele meiner Fächer tatsächlich sehr viel Spaß machen, fühlt es sich manchmal gar nicht wie arbeiten an. Zum Beispiel mein Graphic Arts Kurs könnte auch einfach ein Hobby von mir sein.
Es wird sicherlich noch eine Weile dauern, bis ich mich wieder vollständig eingelebt habe, aber ich gewöhne mich langsam daran wieder zurück zu sein. Ich habe zwar immer wieder Momente, in denen ich Kanada sehr vermisse, aber das ist ganz normal und sicherlich auch gut so. Schließlich zeigt das nur umso mehr, was für eine tolle Zeit ich dort hatte. Ich stehe natürlich auch immer wieder mit meiner Gastfamilie und meinen Freunden in Kontakt und kann es gar nicht erwarten, sie wieder zu sehen. Denn eins steht für mich fest: ich musste mein Auslandsjahr zwar abbrechen, aber dafür freue ich mich schon umso mehr darauf mein zweites Zuhause zu besuchen, und die verpasste Zeit so gut wie möglich nachzuholen!