- WELTBÜRGER-Stifter: weltweiser
- Programm: Schüleraustausch
- Land: USA
- Dauer: 10 Monate
- Name: Michel
Verpasse ich meinen Flug?
Es war der 8. August 2011, einen Tag vor Abflug in die USA. Mein Reisekoffer und mein Handgepäck standen fertig gepackt in meinem Zimmer und ich war für den morgigen Abflug vorbereitet und verbrachte den letzten Tag sehr gespannt mit meiner Familie, meinem Cousin aus Bayern und meinen Großeltern bei uns in Kiel. Seit circa einer Woche wurden Streiks der Fluglotsen angesagt, jedoch hatte ich mir über dieses Thema bis zu diesem Zeitpunkt noch keine Gedanken gemacht. Gegen 15:50 Uhr, 18 Stunden und 20 Minuten vor Abflug (09. Aug. 2011 / 10:10 Uhr) von Hamburg, herrschte plötzlich eine sehr gespannte Stimmung in unserem Haus. Ich ging zu meinem Vater und fragte ihn, was los sei. Er berichtete mir, dass er soeben eine Mail von meiner Austauschorganisation bekommen hatte:
Diese Nachricht schockierte uns schlagartig, denn normalerweise hätte ich am nächsten Tag den Zubringerflug von Hamburg nach Frankfurt nehmen müssen, um pünktlich zum Abflug des internationalen Fluges Richtung New York am Frankfurter Flughafen zu sein. Die eigene Anreise von Kiel nach Frankfurt mit dem Auto wäre sehr weit gewesen (608km) und so kurzfristig ein Bahnticket zu kaufen schlägt sehr auf die schon durch den Austausch geschwächte Geldbörse. Das waren noch lange nicht alle Probleme. Kurz nachdem wir die E Mail bekommen hatten, versuchten wir bei meiner Austauschorganisation anzurufen, um uns über die Lage genauer zu informieren. deiner Austauschorganisation Jedoch antwortete dort nur ein Anrufbeantworter, der uns verkündete, dass die Geschäftszeiten nur zwischen 10 und 15 Uhr seien, doch es war schon kurz vor 16 Uhr. Auf Grund dessen baten wir per Mail und per Anrufbeantworter dringend um Rückruf. Wenige Minuten später klingelte das Telefon und eine Mitarbeiterin meiner Organisation schilderte uns erneut das Problem. Sie teilte uns mit, wenn das Gericht eine Erlaubnis für den Streik der Fluglotsen verkünden würde, ich per Bahn oder Auto nach Frankfurt gelangen müsse, um meinen Flug um 13:20 Uhr nicht zu verpassen. Parallel zu dem Gespräch mit meiner Austauschorganisation versuchte einer von uns durchgängig, jemanden über die Lufthansa Hotline zu erreichen, um weitere Details der Fluggesellschaften zu bekommen. 30 Minuten lang ertönte die Stimme der Warteschleife „Zur Zeit sind alle Ansprechpartner belegt Sie werden mit dem nächst möglichen Mitarbeiter verbunden“.
Nun hofften alle, dass es zu keinem Flugstreik kommen würde. Eine viertel Stunde später wurden wir von einer neuen Nachricht überrascht. „Gericht genehmigt Fluglotsen Streik“ erschien auf dem Bildschirm des Smartphones meiner Mutter, die einen Nachrichten Liveticker abonniert hatte. Die Empörung war groß. Warum musste das Gericht mitten in der Hauptferiensaison einen Fluglotsen Streik genehmigen? Jedoch gab es wenig Zeit zur Aufregung, denn es musste ein neuer Plan geschmiedet werden. Dieser lautete für den kommenden Tag: 2:30 Uhr aufstehen > 3:00 Uhr mit Auto Richtung Hamburg starten > 4:00 Uhr Ankunft HH Airport, Infos über die Flüge > 4:40 Uhr HH – Hbf, Ticket kaufen (89€) > 4:56 Uhr Abfahrt Zug > 9:40 Uhr Ankunft Frankfurt Airport > 13:20 Uhr Abflug Richtung NYC Jetzt hieß es, ab ins Bett und so lange wie möglich schlafen, damit ich für den nächsten Tag fit wäre.
Fernweh? JuBi!
Am Dienstag, um 2:30 Uhr klingelte der Wecker im gleichen Moment betrat meine Mutter das Zimmer und sagte mit einem großen Lächeln auf den Lippen, dass der Streik in letzter Sekunde noch vom Gericht verboten wurde und das alle Flüge planmäßig stattfinden würden. Große Erleichterung brach aus, die Wecker wurden auf 5:15 gestellt und es wurde weiter geschlafen.
Ankunft in der neuen Welt
Bei Ankunft im verregneten Hamburg um 7:30 Uhr half mir meine komplette Familie beim Check in meines Koffers. Nachdem noch einige Fotos geschossen wurden, rückte die schwere Verabschiedung immer näher. Als es dann so weit war, wurde kräftig umarmt, Briefe ausgetauscht und es floss die ein oder andere Träne, bevor ich dann endgültig durch die Sicherheitskontrollen schritt. Pünktlich um 10:10 Uhr hob der Flieger ab und erreichte schon nach 50 Minuten und 28 Sekunden, anstatt der geplanten 1:10 Stunden, den Frankfurter Flughafen an Terminal A.
Nach einem gefühlten Halbmarathon mit Sky Train, Rolltreppen und Fahrstühlen erreichten eine weitere Austauschschülerin und ich endlich das Terminal C und damit auch unser Abflug Gate, wo schon ziemlich viele Schülerinnen und Schüler warteten. Hier traf ich auch auf meinen Gastbruder Richard aus Tschechien, mit dem ich ein Double Placement bei meinem Gastvater bekommen habe. Er ist super nett und wir haben uns lange unterhalten, bevor der Flieger abhob – auf Englisch natürlich Es herrschte ein ziemlich hoher Geräuschpegel in der kompletten Kabine, da das Flugzeug mindestens zur Hälfte mit Austauschschülern aus ganz Europa gefüllt war, die alle lautstark miteinander kommunizierten.
Um 16:05 Uhr landete die Boeing 747 400 mit cirka 45 Minuten Verspätung am verregneten Flughafen in New Jersey. Dort warteten schon zwei Reisebusse, die uns um 18:50 Uhr sicher im „Hotel Pennsylvania“, gegenüber vom „Madison Square Garden“, ablieferten.
Wir stellten das Gepäck in die „luggage lobby“, holten uns unser Abendbrot in einer Plastikschale (Wrap mit Dip + Chips) ab und stiegen wieder in den Bus, um New York City in der Nacht zu erleben. Es ging nach Brooklyn, um die Skyline Manhattans zu bewundern, durch Little Italy, China Town und über den Broadway durch den Times Square und zurück zum Hotel.
Bis zum nächsten Morgen konnte ich es noch gar nicht realisieren, dass ich in New York war. Alles war so viel größer, als ich es mir vorstellt hatte. Der Times Square ist und bleibt eine Faszination für sich, die man auf keinem Foto der Welt so gigantisch darstellen kann.
New York entdecken
Am darauf folgenden Tag ging es um 10 Uhr bei perfektem Wetter zum Times Square, wo wir ein paar Stunden zur freien Verfügung hatten. Wir nutzten die Zeit, um so viele Läden wie möglich zu bestaunen und leer zu kaufen.
Anschließend schlenderten wir zum Rockefeller Plaza, von wo aus wir den „Top of the Rock“ bestiegen. Die spektakuläre Aufzugfahrt von 47 Sekunden bis auf Stock 67 verging wie im Flug. Oben angekommen hatten wir einen atemberaubenden Blick in alle Richtungen über Manhattan. Man sah unter anderem den Central Park, das Empire State Building und die Baustelle des neuen „One World Trade Centers“.
Nachdem wir den Ausblick genossen hatten, begaben wir uns über die 5th Avenue Richtung Central Park. Dort angekommen, bekamen wir wieder Zeit, die wir in Dreiergruppen gestalten konnten. Es ging unter anderem zum Apple Store, Abercrombie & Fitch, Hollister, … und ganz zum Schluss wieder zurück zum Treffpunkt. Das Abendessen gab es im Restaurant „Planet Hollywood“, direkt am Times Square
Der Donnerstag begann mit einer großen Überraschung: Als wir aus dem Hotel gingen, staunten wir nicht schlecht, als uns plötzlich ein Chauffeur einer Stretch Limousine zu sich rüber winkte und uns die Tür seines Autos aufhielt. Wir betraten das große Gefährt; die Fahrt durch New York City verging wie im Flug und wir fühlten uns wie Promis, da fast jeder Passant auf den Gehwegen uns bewunderte. Endstation war der Battery Park Schiffsanleger für die „Liberty Island Ferrys“ an der Spitze Manhattans. Wir fuhren mit der Fähre in brüllender Hitze Richtung Liberty Island.
Nach dem Andocken am Inselanleger ging es zuerst an den Halbkreis vor der Freiheitsstatue, wo sich jeder mit jedem fotografierte.
Eine Stunde später legte der Dampfer wieder ab und es ging zurück auf das Festland. Die nächste Station war Broadway / Wallstreet, wo wir einen Blick auf die größte Wertpapierbörse der Welt, „NY Stock Exchange“, warfen. Anschließend ging es zum Ground Zero und dem neuen „One World Trade Center“. Mein Blick fiel auf die riesen Denkmäler der Twin Tower und mir schossen all die schrecklichen Bilder von 11. September durch den Kopf. In diesem Moment hatte ich das Gefühl, als wäre es erst gestern gewesen, dass die Türme einstürzten und mir wurde das Ausmaß der Anschläge erst jetzt richtig bewusst.
Ich erholte mich von dem Schrecken auf dem Weg Richtung West Seaport. Hier bekamen wir unsere letzte Shopping Möglichkeit für diesen Tag. Wir schlenderten durch eine große Mall und durch verschiedene Läden. Nachdem wir uns wieder getroffen hatten, gingen wir zur Subway Station und fuhren das erste Mal mit der New Yorker U-Bahn Richtung Times Square. Während der Fahrt waren wir jedes mal froh, wenn die Tür geöffnet wurde und heiße Luft die Bahn flutete, denn die Wagons waren so stark klimatisiert, dass wir richtig froren. Als wir ausstiegen, bekamen wir fast einen Hitzeschock, denn es herrschte ein Temperaturunterschied von ungefähr 20 Grad Celsius. Zum Abendessen verzehrten wir Cheeseburger und Pommes im „Applebee’s“, jedoch war es nicht ganz so gut, wie am Vortag.
Für Freitag standen uns verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung. Wir mussten uns für eines der folgenden Events entscheiden: Shopping at Soho, Chinatown – Little Italy, Times Square oder ein Sightseeing Lauf durch den Central Park. Ich entschied mich für Letzteres. Es war ein einfacher Lauf, das Wetter war wunderschön und wir hatten einen atemberaubenden Blick auf die Skyline von Manhattan mit den großen Seen im Vordergrund. Nachdem wir wieder im Hotel angekommen waren, nutzten wir die restliche Zeit, um uns noch einmal zum Times Square zu begeben und Geld auszugeben. Für den Rückweg nahmen wir uns eines der berüchtigten „Yellow Cabs“. Der restliche Nachmittag wurde damit verbracht, das Zimmer aufzuräumen und alle Sachen zu packen.
Am 13. August klingelten um 4:30 Uhr die Wecker und eine dreiviertel Stunde später trafen sich alle mit ihren Sachen in der Lobby des Hotels. Wir verabschiedeten uns von unseren neuen Freunden und wünschten uns gegenseitig ein tolles Austauschjahr. Ich war etwas traurig, dass die Zeit in New York so schnell vergangen war, aber ich war sehr froh, dass ich so viel erlebt hatte und ich konnte es kaum erwarten, meinen Gastvater in Nebraska persönlich kennen zu lernen.
Ein Bus brachte uns zum „La Guardia Airport“, von wo aus Richard und ich um 10:00 Uhr Richtung Dallas / TX starteten.
Nach einem kurzen Aufenthalt in Dallas ging es gleich weiter nach Grand Island/NE, einem Flughafen mit 2 Gates, wo uns unser Gastvater Tom herzlich willkommen hieß. Ich war sehr gespannt und gleichzeitig auch sehr erleichtert, dass ich nun endlich in Nebraska angekommen und der erste Eindruck meiner neuen „Familie“ so gut war.
Nebraska: Mein neues Zuhause
Wir verluden das Gepäck ins Auto und fuhren über den Highway eine halbe Stunde nach Hastings. Während der Autofahrt unterhielten wir uns über New York, unseren Flug usw. Anfangs hatte ich ein paar Probleme, die Fragen zu verstehen und korrekt zu antworten, doch es wurde von Zeit zu Zeit besser.
Die Aufregung stieg, als wir das Ortsschild von Hastings passierten und uns allmählich meinem neuen Haus nährten. „Here we are“, sagte Tom und fuhr mit seinem Auto in die Garage. Es war ein großes Haus mit 3 Etagen und einem schönen Grundstück. Von innen war es größer als ich es mir vorgestellt hatte und es war einfach nur super gemütlich und toll.
Als allererstes brachten wir unsere Koffer nach unten in das Zimmer von Richard und mir. Als nächstes bekamen wir eine detaillierte Führung durch das komplette Haus, es war wundervoll.
Wir lebten uns schnell in der neuen Welt ein, Tom zeigte uns viele verschiedene Orte wie zum Beispiel Downtown, Walmart, unsere neue High School, Fisher Fountain (ein bunt beleuchteter Brunnen), … sodass die Zeit bis zum Schulanfang wie im Flug verging.
Welcome to Hastings Senior High School
Am 22. August 2011 war mein erster Schultag. Richard und ich hatten am Vortag alle Vorbereitungen getroffen. Die „School ID Cards“, Stundenpläne und der Ordner lagen zum Aufbruch bereit. Der Wecker klingelte um 6:45 Uhr, es wurde geduscht, gefrühstückt und es ging auf den 11 minütigen Weg zur „Hastings Senior High School“. Ich war sehr sehr aufgeregt und gespannt, was mich an meinem ersten Schultag erwarten würde. Wie die Lehrer sind, ob die ganzen Schüler in den einzelnen Kursen offen zu mir sind und mir viele Fragen stellen oder ob sie mich einfach ignorieren und ich alleine da sitzen muss. Wie das mit den berüchtigten „lockern“ funktioniert, wie das Lunch und die einzelnen Stunden sind … usw. Doch viel Zeit für Gedanken blieb mir nicht, denn schon standen wir vor dem Haupteingang und öffneten die Tür der großen, gut klimatisierten High School.
Überall standen, gingen oder unterhielten sich Schüler, es wurde die ID Card vorgezeigt und wir begaben uns in die „South Gym“, um unsere endgültigen Stundenpläne und die „locker combinations“ abzuholen. Meine erste Stunde war um 8:05 Uhr „Concert Band“ bei Mr. Beave in Raum 082, doch wo war der? Nach einem kleinen Orientierungslauf, bei dem ich meinen „locker“ ausprobierte, verstand ich das Raumsystem und ich betrat den Bandraum. Ich wurde gleich von Mr. Manning, dem Assistenten, begrüßt und vorgestellt. Es flogen mir diverse Fragen um den Kopf, die ich mit Freude beantwortete. Die restliche Stunde wurde mit organisatorischen Dingen verbracht, viele Zettel, das Schul und Band Handbuch gingen rum und es wurden viele Formulare ausgefüllt. Ich erfuhr, dass für die nächste Woche ein „Heat Schedule“ vorausgesagt war, was bedeutete, dass jede Stunde nur 30 statt der normalen 45 Minuten andauern würde.
Zur nächsten Stunde ging ich in den oberen Flur zum Raum von Mr. Witt, meinem Englischlehrer. Nach 15 Minuten wurde mir jedoch klar, dass mein Englischkurs erst nächste Stunde in diesem Raum stattfinden würde und ich jetzt eigentlich „Commercial Art I“ haben sollte. Ich wurde von der Assistentin zu meinem Art Kurs geführt, wo ich schon erwartet wurde. Ich stellte mich den 5 Schülern und der Lehrerin vor und wurde herzlich in den Kurs aufgenommen. Der einzig weitere Junge im Klassenraum war mein Nachbar Derek, den ich schon einige Tage zuvor kennen gelernt hatte.
Die nächsten Stunden waren Englisch, Mathe und American History. Ich hatte sehr viel Spaß in den Mathe und Englisch Kursen. Als ich jedoch meinen History Raum betrat, hatte ich kein gutes Gefühl. Der erste Eindruck des Lehrers war gar nicht so gut. Schon bei der Begrüßung kam er ziemlich komisch rüber, was sich dann in der restlichen Stunde bestätigte. Mr. Sunderman hatte eine sehr selbstverliebte und unfreundliche Austrahlung, die bei der ganzen Klasse negativ ankam. Es brach Erleichterung aus, als nach einer halben Stunde die Glocke läutete, wir das Klassenzimmer verließen und zum Lunch gingen. Nach dem Essen bekam ich von meinen Freunden eine Privatführung durch und um die Schule. Ich war fasziniert: Das Gebäude war riesig – 4 Sporthallen, zwei kleine für Wrestling und Basketball und die beiden Großen mit Tribünen für diverse andere Sportarten und Wettbewerbe.
Des Weiteren zeigten sie mir den Pool, die Bowlingbahnen, die schulinterne Autowerkstatt und das riesen Außengelände mit Track & Field, Football, Soccer und Baseball Feldern. Zur zehnten Stunde musste ich wieder im Gebäude sein, um pünktlich zu meiner Französischstunde zu erscheinen. Diese Stunde war eindeutig die lustigste am ganzen Tag, da sich Mme. Cecele und die Schüler aus dem Vorjahr kannten und sie dadurch ein super Verhältnis zueinander hatten. Es wurde durchgängig Englisch geredet, Witze gerissen und sinnlose Spiele gespielt. Ab und an versuchte die Lehrerin eine französische Diskussion zu eröffnen, jedoch nie mit Erfolg. Nach einer halben Stunde ertönte die Glocke, ich verabschiedete mich von meinen neuen Freunden und schlenderte gemütlich die halbe Meile zurück zu meinem Haus.
Mein erster Schultag in der „Hastings Senior High School“ war ein wundervolles Erlebnis, das ich nie vergessen werde und ich freue mich schon jetzt auf jeden weiteren Tag.