- WELTBÜRGER-Stifter: weltweiser
- Programm: Freiwilligendienst
- Land: Ecuador
- Dauer: 9 Monate
- Name: Lotta
Bericht 2/2
Bericht 1/2
Hey, ich bin Lotta, 18 Jahre alt und lebe gerade für 9 Monate in Ecuador. Mein neues zweites Zuhause ist Playas, eine Kleinstadt direkt am Pazifik, in der ich vor knapp 3 Monaten angekommen bin. Am liebsten würde ich euch von allen Momenten der letzten 12 Wochen bis ins kleinste Detail erzählen. Von den ersten Gesprächen mit meiner Gastfamilie und von ihren 8 Hunden. Von einem Papagei vorm Weihnachtsbaum und von der schönsten Busfahrt durch die wolkenverhangenen Berge und Nebelwälder Ecuadors.
Auf dieser Busfahrt habe ich überlegt, ob vor allem die erste Zeit im Ausland viel mehr Parallelen mit wieder Kind sein als mit Erwachsenwerden zu tun hat. Denn abgesehen davon, dass ich die Sprache immer noch lerne und deshalb oft Situationen nicht ganz verstehe, bleibe ich auch noch bei manchen Dingen erstaunt stehen, die für meine Freunde hier ganz normal sind – es ist eben so viel neu: der Leguan im Park, der blühende Kaktus am Straßenrand, der Verkehr…. Deshalb weiß ich gar nicht, wo ich anfangen soll, wenn jemand fragt: “Und wie ist Ecuador so?”. Also, falls ihr irgendwie die Möglichkeit haben solltet,
kommt selber hierher;) Bis dahin versuche ich mein Bestes beim Erzählen:
Ich habe letztes Jahr mein Abi gemacht und mich im Januar entschieden, danach mit der Organisation „Musiker ohne Grenzen e.V.” einen FSJ in Ecuador zu machen. Und dann stand ich nicht mal ein Jahr später, über 10000 km von Berlin entfernt, in Playas das erste Mal im Centro Cultural Cacique Tumbalá, wo ich noch viele Stunden verbringen sollte.
Das Cacique ist ein Kulturzentrum, wo neben Näh- und Malkursen auch Tanz- und Schlagzeugunterricht angeboten wird. Mittendrin unterrichten Lilli, meine Mitfreiwillige und Zimmermitbewohnerin und ich Klarinette, Klavier, Saxophon und Geige. Neben dem Unterricht an sich arrangieren Lilli und ich Stücke für unsere Schüler:innen, organisieren Musikschultreffen oder Konzerte.
Der Tag vom Weihnachtskonzert war mit Abstand der Aufregendste bisher. Ich will nicht lügen – davor war ich echt super nervös. Technik, Einladungen, eine Rede auf Spanisch halten und alle Schüler:innen vorbereiten. Das waren echt viele Sachen, von denen ich keine Ahnung hatte. Zum Glück haben alle wo sie konnten mitgeholfen, so dass das Konzert ein richtig schönes Gemeinschaftserlebnis wurde, das allen sehr viel Spaß gemacht hat. Ich habe außerdem noch nie so ein wohlwollendes Publikum erlebt! Den Abend haben wir dann mit einer kleinen Feier mit Wichteln, Billard spielen, Musik und Tanz in einem Hostel einer Schülerin ausklingen lassen. So ist der Tag, vor dem ich so nervös war, zu einem der schönsten Tage bisher geworden.
Welcher aber der schönste Tag war, kann ich gar nicht entscheiden. Vielleicht ein Geburtstag oder ein Ausflug mit unserer Gastfamilie, bei dem wir Delfine gesehen haben. Oder Silvester mit Feuerwerk am Strand und einem großen Konzert auf der Promenade, bei dem allerdings sehr viel getanzt wurde. Mir, der das Tanzen in Deutschland schon unangenehm ist, fällt das nicht unbedingt leicht. Auch wenn alle sehr geduldig versuchen, mir die Cumbia, Salsa und Merengue, was die meisten Kinder schon von ihren Eltern lernen, beizubringen; ich glaube, langsam verzweifeln sie ein bisschen an meinen fehlenden Tanzkünsten.
Am meisten angekommen fühle ich mich in den kleinen Momenten: Wenn wir nach der Chorprobe alle zusammen Empanadas essen oder wenn wir bei einem der freitäglichen Treffen Strand sitzen und Fußball, UNO oder Werwolf spielen. Wenn dann abends die Sonne über dem Pazifik untergeht und Playas ein goldenes Licht taucht, kann ich gar nicht fassen, wie viel Glück ich habe, hier zu sein.
Trotzdem gibt es natürlich auch Probleme. Dazu gehört gerade leider auch die Sicherheit auf den Straßen. Traurige Nachrichten von Raubüberfällen und Schießereien gehören mittlerweile zum Alltag dazu. Auch wenn sich letzteres vor allem auf Mitglieder der Drogenbanden beschränkt, machen sie natürlich trotzdem allen Angst. Die zeigt sich vor allem in kleinen Momenten: zum Beispiel, wenn der Knall von Feuerwerken zu hören ist, und es dann schon fast normal ist, darüber zu diskutieren, ob das nicht auch Schüsse sein könnten.
Vorgestern hat sich die Situation dann noch einmal verschärft, als bewaffnete Mitglieder der Drogenbanden in eine Live-Nachrichtenübertragung eingedrungen sind. Nachdem so gegen 15:00 Uhr diese und weitere Nachrichten von mehreren Entführungen im Land bei uns ankamen, wurden alle nach Hause geschickt. Um möglichst schnell nach Hause zu kommen, sind wir dann zu dritt auf einem Motorrad durch das sonst so belebte Playas gefahren. Die Atmosphäre war irgendwie gespenstisch. Wo sonst an jeder Straßenecke mindestens zwei verschiedene Boxen Musik spielen, wurden die Rollläden der Restaurants runtergelassen und Türen verriegelt, Stühle eingeräumt und die Kinder aus der Schule abgeholt. Zuhause haben wir, wie wahrscheinlich alle Familien in Ecuador, den ganzen Nachmittag lang Nachrichten geguckt. Rausgegangen ist niemand mehr.
Als ich dann aber am nächsten Tag mit einer Freundin von mir am Strand war, haben die Kinder im Meer gebadet und die Erwachsenen im Zentrum eingekauft – alles war wie immer. Verrückt, wie nah so unterschiedliche Welten manchmal auseinanderliegen.
Irgendwie – vielleicht weil alle hier so gut aufeinander aufpassen – fühle ich mich trotzdem echt wohl und sicher hier. Dass ich abends früher als in Deutschland zuhause sein muss, und das “Pass auf dich auf” bei jedem Abschied gehört halt einfach so dazu.
Neben der Sicherheit ist hier auch der Klimawandel als Problem zu spüren. Am konkretesten daran, dass gerade für jeweils 2 Stunden täglich der Strom abgestellt wird, da wegen des Klimawandels und einer zu langen Trockenperiode die Wasserkraftwerke im Amazonas nicht mehr genug Strom produzieren. Natürlich hinterfrage ich da, wie richtig es ist, dass ich hier mit dem Flugzeug hin- und wieder zurück fliege. Durch all die Eindrücke, Gespräche, Freundschaften, und besonderen Momente, die ich erlebt habe, glaube ich aber auch nicht, dass es richtig gewesen wäre, in Deutschland zu bleiben – vielleicht muss ich also einfach mit dem Boot zurückfahren.
Aber bis dahin bleiben mir zum Glück noch 6 Monate, in denen ich noch ganz viel Spanisch lernen, am Strand Fußball spielen, Konzerte und Ausflüge organisieren kann – und wer weiß, vielleicht lerne ich sogar noch Tanzen.
Bis dahin, abrazos desde Playas
Lotta.