- WELTBÜRGER-Stifter: Breidenbach Educational Consulting
- Programm: Schüleraustausch
- Land: Kanada
- Dauer: 5 Monate
- Name: Alina
Wie alles anfing
So lautete der Leitspruch den Frau Breidenbach, meine Organisationsleiterin, uns Austauschschülern immer wieder vor unserer Abreise ans Herz gelegt hat. Und es stimmt – es war alles anders, als ich mir vorgestellt hatte und nichts kam so, wie ich es erwartete.
Bevor ich mich für ein Austauschjahr bewarb, hatte ich viele Erfahrungsberichte von Austauschschülern gelesen und es hat sich immer wunderbar, absolut spannend und irgendwie einfach angehört. Ich hatte den Eindruck, dass jeder Austauschschüler sofort in eine Gruppe integriert wurde, spannende Erfahrungen gemacht hatte, und es so gut wie keine „schlechten Zeiten“ gab. Das führte dazu, dass ich in dem Glauben war, dass Einheimische immer auf einen zukommen und es kinderleicht sei, sich einen Freundeskreis aufzubauen, weil sich jeder dafür interessiere mit dem „neuen“, „Deutschen“ etwas zu unternehmen – etwas, was sich in meinem Fall als falsch erwies, aber mehr dazu später.
Ich hatte Ängste vor meiner Abreise, die sich als banal heraus stellten, und ich habe manche Sachen, worüber ich mir, wie ich hinterher gemerkt habe, mehr Gedanken machen hätte sollen, nie in Erwägung gezogen, wie zum Beispiel, dass es am Anfang nicht ganz leicht ist, Anschluss zu finden.
Meine neue Heimat
Jetzt einmal mehr zu mir – ich bin nach Kanada gefahren, in einen Vorort von Vancouver, namens Richmond – eine kleine Stadt, sehr hübsch und gepflegt, und sehr chinesisch.
Vor meiner Abreise wollte ich nicht viel über meinen Ort oder die Gastfamilie wissen, damit ich nicht zu hohe Erwartungen bekam und nachher enttäuscht wurde. Ich wusste auch nicht, dass es in dieser Stadt jedes Jahr um die 50 Austauschschüler an jeder Schule gibt, wodurch mein Bild vom exotischen Austauschschüler zerstört wurde.
Zudem sind sehr viele Chinesen nach Richmond eingewandert, was mich im ersten Moment ziemlich verdutzt hat, da Ladenschilder, Etiketten und Schilder an Straßen sowohl in englisch als auch in chinesisch dargestellt sind, und sich überall um mich herum Chinesen tummelten. Nach ein paar Tagen hatte ich mich daran gewöhnt und sogar schon mehr oder weniger eingelebt. Ich hatte das Glück, eine überaus nette und liebenswerte Gastfamilie zu haben, die es mir sehr einfach machte, mich zu Hause zu fühlen. Mittlerweile liebe ich sie über alles und würde mein Jahr mit ihnen für nichts in der Welt eintauschen.
In Deutschland hatte ich mir viele Gedanken um eventuelle Sprachprobleme gemacht, was sich aber als unbegründet herausstellte. Natürlich beherrscht man die Sprache nicht von Anfang an perfekt, man macht 1000 Fehler, aber man wird verstanden und es wird einem nicht übel genommen. Nach ein paar Wochen machen sich Fortschritte bemerkbar, und nach ein paar Monaten denkt und träumt man in Englisch, auch wenn sich zwischendurch noch ein paar Fehler einschleichen und man eine Vokabel mal nicht weiß.
In Kanada angekommen, verging meine erste Woche wie im Flug, alles war neu, interessant und aufregend. Der erste Schultag stand schneller vor der Tür, als ich gucken konnte und es war genauso wie es in jedem Erfahrungsbericht beschrieben war. Die Kanadier haben mir gefühlte 547 Fragen gestellt, von denen ich in der Aufregen nur 369 verstanden habe und ich war die neue Deutsche. Allerdings gab es weitere 54 Austauschschüler an meiner Schule (aber nur 2 Deutsche), davon 80% Chinesen, die immer nur untereinander blieben, ebenso wie die Brasilianer. Somit waren Yvonne, die andere Deutsche, und ich die einzigen Austauschschüler, die aktiv versucht haben, soziale Kontakte aufzubauen. 1-2 Wochen lang hat das auch ganz gut geklappt, bis die Kanadier alles über uns wussten und wir „nur“ noch die Deutschen waren. Nun kam der Teil, von dem mir niemand vorher erzählt hatte. Wenn du in einer größeren Stadt bist, sind die Leute nicht wirklich an dir interessiert, weil sie einfach schon so viele Austauschschüler (von denen die meisten auch nicht an einer Freundschaft interessiert sind) kennengelernt hatten, wissen, dass man sowieso wieder geht und sie schon ihren eingespielten Freundeskreis haben. Ich habe mich also – nachdem ich zu dieser Erkenntnis gekommen bin – richtig ins Zeug gelegt Freundschaften zu knüpfen. Das war nicht einfach, weil ich nicht die geringste Ahnung hatte, mit wem ich rumhängen sollte und mit wem nicht, wer hinterlistig oder wirklich an einem interessiert war und wer nicht. Ich konnte es ja nicht riechen, also musste ich es einfach ausprobieren und schauen wo es „Klick“ machte. Manche Leute, mit denen ich am Anfang relativ viel gemacht habe, waren am Ende gar nicht in meinem Freundeskreis, und Andere, die ich anfangs nie wahrgenommen hatte, waren später meine besten Freunde.
Hobbys und Freunde
Dadurch, dass ich dem Cheer- und Dance Team meiner Schule beigetreten bin, war es auch viel einfacher Anschluss zu finden. Außerdem habe ich Cheerleading zusätzlich im Verein betrieben, wodurch ich auch noch mehr Leute kennen gelernt habe und viel zu beschäftigt war, so dass sich etwas wie Heimweh erst gar nicht einschleichen konnte.
Ich möchte niemanden abschrecken, aber es ist wirklich nicht so einfach, wie man denkt. Man kann eine wunderbare Zeit haben und mein Austauschjahr war wirklich das Beste, was ich nur erleben hätte können, aber es kann auch furchtbar sein. Man muss sich darüber im Klaren sein, dass man kämpfen, sehr offen und herausgehend sein muss, weil es nach kurzer Zeit an einem selbst liegt, Freundschaften aufzubauen.
Yvonne, zum Beispiel, hat es sich auch sehr einfach vorgestellt und ist leider nie damit zurecht gekommen, dass die Kanadier nicht sehr auf sie zukommen. Sie wollte eigentlich 10 Monate bleiben, hat allerdings nie Anschluss gefunden und ist dann nach 5 Monaten wieder nach Hause gefahren. Man muss allem eine Chance geben, sich anpassen, das Beste aus allem machen und nichts zu schnell verurteilen, denn es ist nicht besser, nicht schlechter, sondern nur anders. Wenn man nicht diese Einstellung hat, ist es sehr, sehr schwer, ein Austauschjahr zu dem besten Jahr des bisherigen Lebens zu machen und es liegt alles nur bei einem selbst. Ich habe mein Bestes gegeben, um mein Jahr unvergesslich zu machen und meiner Meinung nach auch geschafft. Ich habe unglaublich viel dazu gelernt, hatte richtig viel Spaß und habe es sehr genossen auf mich alleine gestellt zu sein und eine so tolle Kultur kennen zu lernen.
Natürlich hat Kanada kulturell noch Ähnlichkeiten zu Deutschland, aber es ist schon etwas anderes. Seine Weihnachtsgeschenke am Morgen des 25. unter einem Plastikweihnachtsbaum auszupacken und das ganz ohne Schnee um einen herum, aber dafür mit 1000 bunten Lichtern am Dach, um die Türen, Rentieren und Weihnachtsmänner aus Lichterketten. Da ist die größere Nähe zu den USA spürbar.
Thanks Giving muss man einmal miterlebt haben. Morgens wird der „turkey“ ausgenommen, mit „stuffing“ gefüllt und dann für 7 Stunden im Ofen gebacken. Abends wird dieser zusammen mit vielen Leckereien mit allen Verwandten verspeist.
Halloween ist ebenfalls ganz anders als in Deutschland. Die Kanadier zelebrieren Halloween groß. Jeder verkleidet sich, auch in der Schule, und geht abends von Haus zu Haus und fragt nach „Trick or Treat“. Manche Vorgärten sind mit Totenköpfen, Kreuzen und Gespenstern geschmückt und man isst abgehackte Finger in Form von Weingummi.
Die Zeit verging zu schnell
Leider war das Jahr dann auch schneller als mir lieb war zu Ende. Ich habe immer gedacht, ich hätte viel Zeit und es wäre noch so lange, bis ich wieder nach Hause fliege. Pustekuchen, die ersten 4 Monate vergingen schon schnell, aber die letzen 7 Monate rauschten in gefühlten 3 Wochen vorbei und ich musste wieder nach Hause. Für Vieles, was ich mir vorgenommen hatte zu sehen, machen oder erkunden, war keine Zeit mehr und ich bereue jetzt noch die wenigen Tage, an denen ich zu Hause saß und nichts unternommen habe. Nach einem tränenreichen Abschied und 10 Stunden Flug saß ich wieder in meinem kleinen, langweiligen Dorf. Und nun bestätigte sich zur Abwechslung mal eine meiner Ängste. Nichts war mehr wie vor meiner Abreise. Natürlich hatte ich mich verändert – ein Jahr ohne Eltern, ganz auf mich alleine gestellt, haben mir zu sehr viel Selbstständigkeit verholfen und die Verantwortung mein eigenes Leben ohne jegliche Hilfe zu managen, brachte mir Vernunft und Verantwortungsgefühl – aber auch meine Freunde und Eltern hatten sich verändert und vor allem daran gewöhnt, dass ich nicht mehr da war. Alles war ungewohnt und fremd, und es wird auch noch eine Weile dauern, bis ich mich wieder richtig eingelebt habe. Ich wurde aus einem Leben rausgerissen, in ein nächstes reingeschmissen und muss jetzt wieder in mein altes zurück. Ich bin mir allerdings sicher, dass, wenn ich ein Jahr in einem fremden Land „überlebt“ habe, und sogar eine tolle Zeit hatte, werde ich das hier auch wieder hinkriegen.
Fernweh? JuBi!
Ich wünsche allen zukünftigen Austauschschülern ein unvergessliches Jahr. Es liegt bei euch, euer Jahr zu einem wunderbaren zu machen. Gebt nie auf und beißt euch durch! Viel Glück und Spaß!