- WELTBÜRGER-Stifter: YFU
- Programm: Schüleraustausch
- Land: Frankreich
- Dauer: 10 Monate
- Name: Annabell
Die letzten Tage vor dem Abenteuer
Ich habe bis zwei Tage vor Abflug eigentlich noch gar nicht realisiert gehabt, dass ich für 10 Monate weg im Auslandsjahr in Frankreich sein werde. Weder auf dem Vorbereitungsseminar von YFU, noch am letzten Schultag, an dem ich mich von allen Mitschülern und Lehrern verabschiedet habe, noch auf meiner Abschiedsparty (die übrigens echt cool war! Danke an alle die da waren!).
Ich will nichts schön reden, denn das wäre nicht ehrlich, aber es gibt auch eine Menge Fragen, Ängste und Zweifel bei solch einem Vorhaben. Aber das ist normal, denn das ist ein großer Schritt. Mir wurde die Tatsache, dass ich gehe das erste Mal richtig bewusst, als ich jemanden verabschiedet habe, der mir sehr viel bedeutet. Ich war danach echt traurig und wollte gar nicht richtig weg.
Aber es gab kein Zurück mehr! Am 28. August 2013 brachte mich mein Vater zum Frankfurter Flughafen, aber richtig entspannt, glücklich und voller Vorfreude war ich erst, als ich allein weiter durch die Sicherheitskontrolle musste. Ich war weder ängstlich noch traurig, sondern gespannt, was auf mich zukommen würde.
Bienvenue en France!
Von Frankfurt bis Paris dauerte es nicht allzu lange. Im Flugzeug hatte ich noch einmal die letzte Gelegenheit nachzudenken, bevor es dann endlich losging. Dort angekommen, fuhren wir in den Norden Frankreichs, wo wir ein dreitägiges Vorbereitungscamp absolvierten.
Das war wichtig, denn dort bekam ich einige praktische Infos. Wer mit YFU ins Ausland geht, hat einen persönlichen Ansprechpartner bei Problemen, eine personne relai. Ich traf dort auch zum ersten Mal die Jugendlichen, die in meiner Region wohnen würden, schloss neue Freundschaften und merkte zum ersten Mal, wie schwer Französisch doch ist, wenn es in einem angemessenen Tempo gesprochen wird.
Mir wurde auch noch einmal bewusst gemacht, was es heißt in einer Gastfamilie zu leben, die mich freiwillig und unentgeltlich aufnimmt. Das bedeutet, dass ich für alles was ich bekomme dankbar sein sollte, für jede Kleinigkeit, sei es, dass sie mich irgendwohin fahren, für mich den Eintritt bezahlen, mir bei den Hausaufgaben helfen, ein Restaurantbesuch oder sogar ein ganzer Urlaub.
Die Familie gibt mir ein Zimmer, Essen, sie nimmt sich Zeit für mich, sie ist für mich da, sie bringt mir Liebe und Herzlichkeit entgegen. Sie behandelt mich wie ihr eigenes Kind. Das ist viel! Deswegen denke ich, ist es wichtig seine Dankbarkeit und seine Freude darüber zu zeigen. Das müssen keine großen oder teuren Geschenke sein, eine Umarmung oder ein ganz liebes << Merci bien, c’était super! >> reicht aus.
Mit dem TGV, so etwas wie der französische ICE, dauerte es ungefähr 2 Stunden von Paris bis Nantes, der größten Stadt in meiner Region: Pays de la Loire. Ich kannte meine Gastfamilie zwar schon etwas, hatte Fotos gesehen, einen Steckbrief gelesen und schon ein wenig mit Léa und Chloé, meinen Gastschwestern, geschrieben. Trotzdem war ich super aufgeregt vor dem ersten Treffen mit ihnen. Ich starrte auf den Bahnsteig als der Zug langsam im Bahnhof zum Stehen kam und sah sie durch das Fenster. Mein Puls raste.
Als ich ausstieg, wurde ich ganz herzlich empfangen. Alle strahlten vor Freude und das gab mir ein gutes Gefühl und nahm ein bisschen meine Anspannung fort. Sofort wurden mir Koffer und Rucksack abgenommen und als ich mich dann von den anderen und meiner Begleitperson von YFU verabschiedet hatte, ging es los!
Ich wusste nicht recht was ich sagen sollte, und auch nicht wie. Ich hatte zwar nie Angst französisch zu sprechen, denn es ist normal, Fehler zu machen, aber in diesen Momenten war mein Gehirn wie leergefegt. Im Auto hielten wir dann ein bisschen Smalltalk. Ich war immer noch aufgeregt, aber meine Anspannung löste sich immer mehr.
Zu Hause angekommen erwartete uns bereits eine Ordensschwester, meine Gastfamilie ist katholisch und sehr aktiv im Gemeindeleben, die zum Kaffetrinken blieb. Später wurde mir dann noch das Haus gezeigt. Es ist groß, hat zwei Etagen plus einen Dachboden.
Als ich wieder ins Erdgeschoss gehen wollte, wo mein Zimmer liegt, hatte ich vergessen, welche Tür ich nehmen musste. Ich versuchte nun also nervös meine Sorge auf Französisch zu erklären, was zum ersten lustigen Moment meines Austauschs führte und ein bisschen das Eis brach.
Am Nachmittag richtete ich mich dann in meinem Zimmer und im Bad ein. Abends bereitete ich mit Léa einen salade composé. Das war das erste Gericht, das für mich neu war, denn darin waren sowohl Gemüse, Salat als auch Thunfisch, Früchte und Ziegenkäse. Für mich ungewohnt, aber es schmeckte gut.
Und schon war der erste Tag vorbei. Ich will nicht sagen, dass ich mich unwohl fühlte, aber es war ein ganz neues Gefühl in einem fremden Bett zu liegen, in einem unbekannten Haus, so weit weg von Erfurt.
Alles neu!
Das Leben in einer französischen Familie ist eigentlich gar nicht so anders als in Deutschland. Was ich damit sagen will: es gibt keine riesen kulturellen Unterschiede wie zum Beispiel zu asiatischen Ländern. Trotzdem gibt es viele kleine und große Verschiedenheiten der Kulturen als auch der Mentalitäten, immer wieder echt lustige Missverständnisse oder verwirrende Moment, weil ich etwas sage, das hier aber eine ganz andere oder auch gar keine Bedeutung hat.
Meine Gastfamilie wohnt in einem kleinen Dorf in der Nähe von Nantes, einer Großstadt nahe der Atlantikküste. Ich habe mich bei ihnen recht schnell eingelebt. Das liegt wohl auch daran, dass ich ganz herzlich aufgenommen wurde.
Anfangs mussten sie mir jeden zweiten Satz erklären, aber mittlerweile, nach nicht einmal 3 Monaten, verstehe ich fast alles und es sind unbekannte oder komplizierte Worte, die mich immer noch ab und an nachfragen lassen. Man darf ganz einfach keine Angst haben, die Sprache zu sprechen und mit der Zeit und der Übung klappt es schließlich immer besser. Ich gebe mir viel Mühe, mich zu integrieren, versuche zu helfen wo ich kann, wir kochen zusammen und so habe ich mich schließlich sehr schnell eingelebt.
Mein Gastvater Loïc liebt es, mir Dinge zu erklären und es ist auch kein Problem, wenn meine holprigen Sätze anfangs nicht ganz verständlich waren. Ich bin meiner Gastfamilie sehr dankbar, dass sie immer geduldig warten, bis mir ein Wort eingefallen ist. Ich würde mit mir wahrscheinlich verrückt werden. Und je länger ich hier bin, desto öfters kommt es vor, dass ich deutsche Worte vergesse. Das ist ein sehr seltsames Phänomen, wenn man seine Muttersprache zu Teilen vorübergehend vergisst.
Eines der ersten schönen Erlebnisse war ein Ausflug zum Meer. Ich bin noch nie am Atlantik gewesen und weil schönes Wetter war, wollten wir baden gehen. Ich habe es aber dann doch gelassen, weil der Atlantik echt kalt ist! Trotzdem war es ein toller Tag am Meer und ein schöner Beginn für das Jahr, das vor mir lag.
Ich habe drei Gastschwestern. Chloé, die älteste der drei, ist zwei Jahre älter als ich und studiert in Paris. Sie pendelt alle zwei Wochen zwischen den Städten. Eines Tages, als ich allein zu Hause war und noch nicht wirklich viele Freunde hatte, hat sie mich mit zu ihrem Treffen genommen, wofür ich ihr sehr dankbar bin. Es sind solche kleinen Dinge, die mir geholfen haben, richtig anzukommen.
Betty ist im Moment, wie ich, für ein Jahr im Ausland. Ich wohne in der Zeit, in der sie in den USA ist, in ihrem Zimmer. Leider gehe ich nach Deutschland bevor sie zurückkommt, weshalb ich sie nicht kennenlernen werde.
Meine etwas jüngere Gastschwester Léa und ich verstehen uns trotz großer Charakterunterschiede recht gut. Wir gehen beide in die elfte Klasse, sind aber nicht in derselben. Anfangs haben wir fast alles zusammen gemacht, sie hat mir sehr geholfen mich zurechtzufinden und ich habe mich immer ein bisschen an ihr orientiert.
Das wird schon!
Besonders aufgeregt war ich am ersten Schultag, obwohl Léa versucht hat, mir die Angst ein bisschen zu nehmen. Am liebsten wäre ich nicht aus dem Schulbus ausgestiegen. Alle Schüler versammelten sich zu Beginn in der Sporthalle und wurden dann einzeln aufgerufen, um mit ihrem Lehrer in ihre Klassenräume zu gehen.
Als ich aufgerufen wurde war ich sehr nervös, denn das war das erste Mal, dass ich keinen hatte, an den ich mich halten konnte. Ich habe den ersten Tag nicht viel geredet und eher beobachtet, was dem Mädchen neben mir wahrscheinlich etwas seltsam vorkam. Aber als M. Clergeot, mein Klassenlehrer, dann erklärte, dass ich Deutsche sei, legte sich die Spannung etwas.
Der erste Schultag war lang, weil wir kaum eine Pause machten. Und nach drei Stunden organisatorischer Erklärungen hatten wir Französisch. Ausgerechnet! Ich ging also zum Lehrer, um mich ihm vorzustellen, nannte ihm meinen Namen und sagte dass ich aus Deutschland käme und das Jahr über in dieser Klasse bleiben würde und er sagte nur: <<Bien! >> nickte und ließ mich stehen.
Humor oder Ironie in einer anderen Sprache zu verstehen ist schwierig und man darf nicht immer alles persönlich oder zu ernst nehmen. Wenn man sich jedes Mal, wenn jemand über deine Aussprache lächelt bzw. lacht ausgelacht fühlt oder jedes Mal, wenn man etwas sagen will, man es aber nicht so recht hinbekommt sich schrecklich ärgert, wird man wahrscheinlich irgendwann depressiv. Ich nehme das Ganze mit Humor und lache einfach mit, denn oftmals ist es wirklich komisch.
Nachmittags war ich dann etwas niedergeschlagen, denn mir kam das alles völlig unmöglich vor. Das neue Umfeld, ganz allein in einem anderen Land, die Sprache… Aber eigentlich war es das nur solange, bis ich aufhörte mir Sorgen zu machen und ständig daran zu denken. << Das wird schon! >> Das sagte meine Gastmutter Christine oft und sie hatte recht. Nach nicht einmal 2 Monaten waren all die Sorgen, dir ich zu Anfang hatte, verflogen.
Mut zum Ausprobieren!
Anfangs war ich eher zurückhaltend. Ich wollte nicht, dass ich jemanden auf die Nerven ging, deshalb fragte ich während des Unterrichts so wenig wie möglich, was trotzdem noch ziemlich viel war! Die Sitzordnung war festgelegt und mein Banknachbar war zwar zu Beginn hilfsbereit wurde aber mit der Zeit ziemlich unfreundlich.
Ich kann ja verstehen, dass es nervt, wenn jemand neben dir ständig etwas fragt, aber muss man ihn deswegen lächerlich machen? Ich habe ihm zu verstehen gegeben, dass ich nicht viel von seiner arroganten Art halte und setzte mich schließlich um. Ich habe heute wenig mit ihm zu tun und halte mich einfach an meine Freunde. Man muss ja nicht mit allen super klar kommen…
In den Pausen war ich zwar nie allein, aber es dauerte seine Zeit, bis ich richtige Freunde gefunden hatte, mit denen ich auch über ernstere Themen reden konnte. Das lag daran, dass wir uns ja noch gar nicht kannten und dass meine Französisch Kenntnisse zu diesem Zeitpunkt eher begrenzt waren. Ich hatte zwar vorher vier Jahre Unterricht, aber zwischen Theorie und Praxis liegen eben doch Welten!
Außerdem ist es etwas schwierig seinen Platz zu finden. Sowohl in der Schule, unter den Freunden als auch zu Hause muss man sich erst einmal irgendwie an die Gegebenheiten anpassen, die man geboten bekommt. Es lag an mir, mir Mühe zu geben und Freunde zu finden.
Ein sehr guter Freund hier heißt Benjamin. Wir sind voll auf einer Wellenlänge und verstehen uns echt gut. Wir hängen sogar so oft miteinander ab, dass viele denken, er wäre mein Gastbruder, dabei sind wir einfach nur echt gute Freunde.
Benjamin gibt sich viel Mühe, um mir die Zeit so schön wie nur möglich zu gestalten. Er bringt mich zum Lachen, wenn ich niedergeschlagen bin, hilft mir im Unterricht und bringt mich dazu, neue Dinge auszuprobieren, was mich in so einige lustige Situationen gebracht hat.
Mein Schultag ist lang. Die Schule beginnt um 9 Uhr, weil fast alle mit Schulbussen aus den umliegenden Dörfern kommen. Ich habe immer zwei Stunden am Stück, eine Unterrichtsstunde dauert hier 55 Minuten, und danach eine etwas längere Pause. Mittags haben wir eine Stunde, um zu essen und nachmittags dann noch einmal vier Stunden.
Das bedeutet jeden Tag acht Stunden und zwischendurch ab und zu Freistunden. Aber eine Freistunde hier ist ganz anders als in Deutschland, wo man eigentlich machen kann was man will. Hier geht man in einen extra für uns vorgesehenen Raum, wird dort von „Aufpassern“, den surveillantes, beaufsichtigt und muss still seine Hausaufgaben machen.
Mit dem Bus dauert es dann etwa eine halbe Stunde, bis ich dann 18:30 Uhr endlich zu Hause angekommen bin. Doch bis es etwas zum Abendessen gibt, muss ich noch gut zwei Stunden warten, gegessen wird hier nämlich um ca. 21 Uhr. Daran musste ich mich erst einmal gewöhnen!
Und auch daran, nichts während der Pausen zu essen. In Deutschland hat fast jeder etwas zu Essen mit, hier wurde ich etwas beäugt als ich in der Pause meine Brotbüchse herausholte. Aber das ist alles eine Gewöhnungssache. Mittlerweile habe ich den französischen Rhythmus verinnerlicht.
Man kann zu den Pflichtfächern zusätzliche Optionen belegen wie zum Beispiel, Kunst, Italienisch oder eben auch Theater, die dann stattfinden, während die Anderen Perm, also eine Freistunde, haben. Benjamin hatte in der zehnten Klasse auch schon Theaterunterricht, weshalb er es weitergeführte.
Eines Nachmittags fragte er mich plötzlich, ob ich nicht Lust hätte, mit ihm zu gehen. Ich zögerte, doch schließlich überredete er mich dazu, mitzukommen. Wir waren eine kleine Gruppe von vielleicht 15 Schülern. Er hatte mir erklärt, dass wir noch einige kleine Übungen machten, bevor wir zu den Improvisationen übergingen.
Doch der Lehrer entschied kurzfristig schon früher damit zu beginnen. Und kaum zehn Minuten später stand ich aufgeregt mit einem Koffer in der Hand hinter dem Vorhang der Bühne und sollte eine improvisierte Werbung für ein Produkt meiner Wahl machen, das durch den Koffer dargestellt wurde – 2 Wochen nachdem ich angekommen war – allein – vor 15 Fremden – improvisiert – auf Französisch!
Was macht man in so einer Situation? Ich versuchte mich zu beruhigen und spielte eine Satire über die deutsche Qualität (einige der wenigen Worte, die alle Franzosen kennen), was erst richtig lustig wurde als der „Stuhl“ für den ich warb, also der Koffer, zusammenbrach als ich mich zum Demonstrieren der „außergewöhnlichen Zusatzfunktionen“ daraufsetzte.
Alle lachten und ich auch! Sobald man die Bühne betritt, steckt man in einer Rolle und wenn man sich blamiert, dann war es der Charakter, den man spielte, nicht man selbst. Dennoch war ich erleichtert, als es geschafft war. Trotzdem hatte ich irgendwie Gefallen daran gefunden, in ganz andere Rollen zu schlüpfen und für zwei Stunden alles um mich herum zu vergessen. Am nächsten Tag trug ich mich in das Fach ein.
So kam es, dass ich den Ausspruch: Ich kam, sah und siegte! auf Französisch lernte und ein lustiges Improvisationsstück über ein Kannibalen-Restaurant spielte, in dem ich als Gast schließlich selbst im Topf landete. Der Lehrer ist sehr nett, aber seine wohl lustigste Eigenschaft ist, dass er wie Professor Snape aus Harry Potter redet. Der Unterschied: er ist freundlicher!
Bitte was?!
Der Lehrplan ist im Großen und Ganzen dem in Deutschland sehr ähnlich. Trotzdem gibt es Dinge, die für mich neu sind oder Themen, die ich bereits behandelt habe. Diese Situation fand am dritten Schultag statt. Wir hatten gerade Physik und begannen mit dem Thema Optik. Der Lehrer zeigte uns zwei Linsen und ich meinte verstanden zu haben, dass er fragte, wie man diese bezeichnete.
Ich war mir ziemlich sicher, dass die Worte im Französischen dieselben waren, also meldete ich mich und sagte: << Elles sont convexe et concave. >> Mit einem Mal dreht sich die ganze Klasse zu mir in der letzten Reihe um und alle sahen mich an. Ich war völlig perplex. Hatte ich etwas völlig Absurdes gesagt? Nein, das war es nicht. Sie waren einfach nur so überrascht, dass ich, die Ausländerin, eine korrekte Antwort gegeben hatte und noch dazu Fachbegriffe verwendet hatte. Undenkbar!
Eines Nachmittags war ich mit meinen Freunden unterwegs, wir unterhielten uns und plötzlich sagte ich: Er weint! und alle sehen mich an. Wer? Warum? Was ich aber meinte war: Es regnet! Zwei Sätze die sich ziemlich ähnlich sind, die ich aber bis heute gelegentlich verwechsle, was uns immer wieder zum Lachen bringt.
Während der Pause kam einmal ein Mädchen zu mir und fragte: << Est-ce que tu as de l’alcool? >> (Hast du Alkohol?) Ich war etwas verwirrt, antwortete aber gelassen: << Nein, tut mir leid, heute leider nicht. >> Sie nickte daraufhin und ging zur nächsten Bank, wiederholte und ich fragte mich noch immer, was diese Frage sollte, als sie triumphierend mit einem Klebestift zu ihrem Platz zurückkehrte.
Und da begriff ich, dass die Frage gelautet hatte: <<Est-ce que tu as de la colle? >> (Hast du einen Kleber?). Die Sätze sind sich sehr ähnlich. Nur die Betonung des O des letzten Wortes macht den kleinen aber feinen Unterschied.
Fernweh? JuBi!
Vor einigen Wochen habe ich einmal wieder ein deutsches Rezept ausprobiert, in der Hoffnung, dass es mir diesmal gelinge würde. Ich hatte vor, Apfelstrudel zu backen. Nun hatten wir aber keine Rosinen, auf Französisch raisins secs, zu Hause. Deswegen bin ich schnell zum Dorfladen gegangen, um welche zu kaufen. Dort angekommen war mir aber die korrekte Bezeichnung entfallen. Ich fragte den Kassierer schließlich nach raisins gras, also nach fettigen Trauben.
Während der Pause erzählt jemand eine Geschichte über etwas, das fürchterlich schief gelaufen war und plötzlich sagte François: << La vache! >>, was übersetzt heißt: <<Die Kuh! >>. Das fand ich seltsam, also fragte ich nach. Und nach einigen Minuten hatte er verstanden, warum ich so verwirrt gewesen war. La vache heißt in diesem Zusammenhang so viel wie Oh là là!
Steine mit Zitronen
Vor zwei Wochen waren ich und meine Gastmutter Christine allein zu Hause und weil wir keine Lust hatten, den ganzen Tag drinnen zu bleiben, entschieden wir kurzfristig, einen Ausflug zu machen. Sie schlug mir vor Clisson, eine Kleinstadt in der Nähe meiner Schule, zu zeigen. Wir besichtigten also die Altstadt, die kleine Burg und die Markthallen.
Zufällig war gerade Tag des Geschmacks, weshalb dutzende Stände zum Probieren bereitstanden. Ich kostete mich einmal halb durch die französische Kulinarwelt. Angefangen von mousse au chocolat über selbst gebackenes Brot, Käse bis hin zu Miesmuschel.
Als letztes blieben wir an einem Stand stehen, bei dem kleine Gegenstände, die aussahen wie Steine, in Körben lagen. Darauf waren einige Zitronen drapiert. Ich zögerte nicht und fragte nach. Der Mann zückte ein Messer und öffnete eine der Austern, die für mich Laien von Weitem ausgesehen hatten wie Steine, und hielt sie mir entgegen.
Ich zögerte. <<Isst man sie einfach so? >>, fragte ich etwas angeekelt vor dem Tier, dass da vor mir im Salzwasser schwamm. <<Ja genau, aber ohne die Schale. >> Das war mir auch klar gewesen. <<Kann ich nicht einfach nur ein Stückchen kosten? >> <<Nein. >>, kam es von Christine und dem Mann gleichzeitig zurück.
Also setzte ich an und aß die rohe Auster. Und ich muss sagen, es war eigentlich recht lecker. Man darf nur nicht zu viel darüber nachdenken, was man da gerade isst. Und es war gut, dass mir erst danach gesagt wurde, dass sie bis kurz davor noch gelebt hatte.
Während der ersten Ferien unternahm ich mit meiner Gastfamilie einen Ausflug zum Mont St. Michel, einer Klosteranlage auf einem Felsen, der mitten aus dem Atlantik ragt. Am Abend aßen wir dann moules et frites, also in Weißweinsoße gedünstete Miesmuscheln und Pommes. So etwas wie die französischen Fish and Chips. Wie es scheint, entwickle ich mich hier zu einem richtigen Muschelliebhaber.
Schwierigkeiten gehören auch dazu
Ich habe hier in kürzester Zeit so viele neue und tolle Dinge erlebt. Und obwohl ich mich manchmal einsam fühle und ich meine Familie, Freunde und besonders meinen Freund vermisse, würde ich um keinen Preis der Welt früher zurückgehen! Ich habe diese Familie lieb gewonnen und ich zögere nicht, das hier zu Hause zu nennen. Ich kann nur jedem die Erfahrung eines Austauschjahres empfehlen. Ich glaube, das war die beste Idee, die ich je hatte!
Heimweh hatte ich bis jetzt noch nicht wirklich, was mir selbst ein bisschen seltsam vorkommt. Aber eigentlich habe ich hier alles, um glücklich zu sein: eine nette Familie, Freunde und jede Menge Spaß. Ich versuche die Dinge positiv zu sehen und wenn man gar nicht erst damit anfängt, sich in irgendwelche Sorgen oder Ängste hineinzusteigern, kann man die Zeit richtig genießen.
Sicherlich gibt es auch schwierige Momente und es gibt Tage, an denen ich traurig bin, aber das ist normal und es gibt hier immer Leute die für mich da sind, seien es meine Gastschwestern, meine französischen Eltern oder meine Freunde.
Ich habe durch eigene Erfahrung gelernt, dass es wichtig ist, sich hier Leute zu suchen, die einem helfen und sich nicht zu sehr mit seinen Problemen nach Deutschland zu wenden, denn das führt nur dazu, dass man sich von seiner Gastfamilie und Freunden entfernt.
Ich habe mich zum Beispiel mit meinen Sorgen an eine Freundin gewandt, die für 3 Monate in Kanada gewesen ist. Mit Carole verstehe ich mich super, weil sie sehr gut nachvollziehen kann, wie es mir geht, da sie dieselben Erfahrungen gemacht hat. Diese Gemeinsamkeit schweißt uns zusammen. Und mit ihrer Hilfe habe ich schon die eine oder andere schwierige Phase überstanden.
Eine Zwischenbilanz
Vor einigen Wochen bekam ich per Post einen Brief zugestellt, meine französische Adresse war mit meiner eigenen Handschrift darauf geschrieben. Es dauerte eine Weile, bis ich begriff, dass ich ihn vor gut fünf Monaten im Ankunftscamp an mich selber verfasst hatte. Thema dieser Zeilen waren meine Ängste, Sorgen, Erwartungen und Hoffnungen für das mir bevorstehende Jahr.
Während ich ihn las, musste ich schmunzeln, denn manche Sorgen, von denen ich dachte, sie würden mir große Schwierigkeiten bereiten, haben sich als völlig harmlos herausgestellt und manche Probleme, mit denen ich konfrontiert worden bin, konnte ich zu diesem frühen Zeitpunkt nicht einmal erahnen. Zwischen dem, was ich dachte das mich erwarten würde und meinen tatsächlichen Erfahrungen liegen teilweise gewaltige Unterschiede.
Ich konnte zu diesem Zeitpunkt, es war der dritte Tag meines Vorbereitungscamps, nur vage erahnen, was ich alles erleben würde. Aber das ist es wahrscheinlich, was das Leben spannend macht: nicht immer zu wissen, was mich erwartet. Eine Art das Leben zu schätzen, die ich mir hier in Frankreich angeeignet habe.
Als ich diesen Brief verfasste, hatte ich einige Sorgen, was die Schule betraf. Würde ich mit meinen grundlegenden Französisch-Kenntnissen überhaupt dem Unterricht folgen können? Ich muss sagen, dass es anfangs nicht so leicht war, aber mit der Zeit lernte ich schnell dazu und verstand den Unterricht immer besser.
Bei mir hat es ungefähr zwei Monate gedauert bis ich eine deutliche Verbesserung feststellte. Man muss einfach Geduld haben! Heute komme ich sehr gut mit, mache ohne Probleme und Wörterbuch meine Hausaufgaben, habe auch bereits einige Bücher auf Französisch gelesen und schreibe Noten in Arbeiten wie die anderen in meiner Klasse.
Hier nur ein Beispiel, um zu zeigen, wie es vorangeht… Am Anfang des Jahres wollte mein Französischerer mir keine Note geben, weil er es unfair fand, mir trotz meiner Mühen 01/20 zu geben. Ich habe mit ihm gesprochen und er wollte mich nach und nach wie die anderen benoten.
Im BAC Blanc (so etwas wie die Generalprobe für das Französisch-Abitur, dass die Franzosen bereits in der elften Klasse absolvieren), das ich mitgeschrieben habe, hatte ich bereits 08/20 Punkten. Heute bekam ich einen Aufsatz über Molières „Dom Juan“ zurück, indem er mich exakt wie alle anderen benotet hatte: 10/20 mit einer relativ guten französischen Ausdrucksweise.
Ein enormer Fortschritt, wenn man bedenkt, dass ich mich durch das komische Drama durchgearbeitet habe in dem Glauben, Sganarelle, eine der eigentlich männlichen Hauptpersonen, sei eine Frau. Und wer weiß, vielleicht habe ich im dritten Semester sogar mal eine 13/20…
Eine weitere Angelegenheit, über die ich mir so einige Sorgen gemacht hatte, war meine zukünftige Klasse und die Befürchtung, keine Freunde zu finden. Normalerweise bin ich kein schüchterner Mensch, gehe ohne Probleme auf andere zu und Freunde mich schnell an, aber tatsächlich hatte ich hier ein wenig Probleme, meinen Platz zu finden. Ich war zurückhaltender, was nicht unbedingt ein Fehler war, und vielleicht lag es auch an der sprachlichen Barriere, die man erst einmal überwunden haben muss, um gute Freunde zu finden.
Ich habe, was meine Clique betrifft, ein bisschen gebraucht, um zu sehen, zu wem ich wirklich passe und verbringe jetzt die meiste Zeit mit meiner kleinen Gruppe von Freunden und bin damit recht zufrieden. Ich habe eigentlich nur zwei richtige Freunde: Benjamin (von dem ich ja bereits geschrieben habe) und Linnea (eine Dänin, die ebenfalls 10 Monate in Frankreich bleibt) mit denen ich hoffentlich auch noch nach dieser begrenzten Zeit in Frankreich Kontakt halten werde. Aber meiner Meinung nach zählt bei Freunden die Qualität und nicht die Quantität!
Mit meiner Klasse hingegen, hatte ich in der Tat einige Probleme, ausgelöst durch Missverständnisse, Gerüchten, denen ich zu leicht Glauben geschenkt hatte, und mangelnder Kommunikation. Die Atmosphäre in meiner Klasse ist ohnehin nicht sehr freundlich, es gibt viele Grüppchen, die sich untereinander nicht ausstehen können und auch Mobbing.
Die Komposition dieser Gruppe klappt einfach nicht zusammen. Selbst einige Franzosen fühlen sich nicht sehr wohl und das ist natürlich nicht gerade eine gute Basis, um sich als Austauschschülerin zu integrieren. Das hat dazu geführt, dass ich mich in meiner Klasse nicht wohl und generell allein gefühlt habe und war demzufolge nicht sehr glücklich.
Gefühlschaos an Weihnachten
Alleinsein – der größte Horror, den ich mir ausmalen konnte: daneben zu stehen, nicht dazuzugehören, nichts zu verstehen, nur die zu sein, die sowieso bald wieder weg ist, mit der sich das Anfreunden also gar nicht erst lohnt…
Und weil ich außer mit meinen französischen Eltern mit fast niemandem darüber geredet habe und mich immer mehr verschlossen habe, was normalerweise so überhaupt nicht meine Art ist, hat sich an der Situation auch nicht viel geändert und am Ende der Jahres folgte dann ein großes Stimmungstief!
Mehrere erfahrene Leute, unter anderem auch Élodie, meine Ansprechperson, haben gesagt, dass es normal sei, sich in der Zeit von Weihnachten und Silvester etwas allein zu fühlen. Aber nur, weil es die anderen sagten, ging es mir nicht unbedingt besser. Ich habe mich dann doch irgendwie aufgerafft, denn es ist nicht wirklich meine Art, lange in Selbstmitleid zu versinken. Außerdem hatte ich mit Benjamin geredet und so schafften sich auch die Missverständnisse mit meiner Klasse aus der Welt und es ging bergauf.
Heute komme ich mit der Mehrheit meiner Mitschüler sehr gut aus, habe keine Angst mehr mit meinen Mitschülern zu reden und mir geht es dadurch VIEL besser. Ich hatte auch ein Gespräch mit meinem Klassenlehrer, wie jeder in der Klasse, und er hatte mir sogar angeboten, die Klasse zu wechseln, aber das ist für mich jetzt keine Option mehr. Ich habe meine Freunde gefunden und fühle mich jetzt wohl, obwohl es eben immer noch einige wenige Leute gibt, die versuchen, den anderen das Leben schwer zu machen.
Aber wenn ich ehrlich bin, ist das kein Problem, dem ich nur im Ausland hätte begegnen können. Das hätte mir in Deutschland ebenfalls passieren können. Ich bin nur froh, dass sich das wieder hingebogen hat, denn ich habe in der Zeit Ende Dezember, Anfang Januar echt gelitten.
Ein anderer Aspekt, der essentiell für ein gut laufendes Auslandsjahr ist, ist die Gastfamilie. Durch Freunde und Bekannte, die schon einmal jemanden aufgenommen haben, Gerüchte oder über die Organisation hatte ich viele Geschichten gehört, wie es nicht gut gelaufen ist und natürlich wünschte ich mir, dass bei mir alles reibungslos funktionieren würde.
Ich kannte meine französische Familie fast gar nicht, eigentlich waren es Fremde, bei denen ich von heute auf morgen einzog, demzufolge gespannt war ich und hoffte, dass wir gut miteinander auskommen würden. Und meine Hoffnungen wurden erfüllt. Ich komme super gut mit ihnen klar, wurde herzlich aufgenommen und sie behandeln mich wirklich wie ihre eigene Tochter, was für mich ein großes Geschenk ist. Ich würde sogar so weit gehen zu sagen, dass ich sie auf eine spezielle Art liebe.
Meine Angst war also völlig unbegründet. Aber natürlich gibt es auch negative Beispiele: Ich kenne ausreichend Jugendliche, die schon einmal die Gastfamilie gewechselt haben oder sogar in ihr Heimatland zurückgereist sind.
Der einzige Mängelpunkt, den ich hier anführen könnte ist die eher kühle Beziehung zu Léa, meiner jüngeren Gastschwester. Wir sind sehr verschieden und obwohl wir uns beide eine engere Freundschaft erhofft hatten, kann man keine Sympathie erzwingen und so haben wir uns arrangiert, auch wenn ich immer noch hoffe, dass sich das eines Tages ändern wird. Natürlich hätte Einiges besser laufen können, aber im Vergleich mit manch anderen habe ich richtig großes Glück und das Leben ist nun mal nicht perfekt!
Dann gibt es natürlich noch die Angst, wenn man so weit von seiner Familie entfernt ist, fürchterliches Heimweh zu bekommen und Abende mit Weinen zu verbringen. Ich weiß nicht, ob ich ein atypisches Beispiel bin, aber lange Zeit hatte ich fast kein Heimweh. Ich denke Menschen, die zu sehr an ihren Familien hängen und keine drei Tage ohne ihre Eltern auskommen können, werden sich sowieso nicht für ein Auslandsjahr entscheiden, denn das gehört nun mal einfach mit dazu.
Also ich komme erstaunlich gut mit der Distanz klar. Ich fühle mich als wäre ich ausgezogen und lebte nun in einer anderen Stadt. Aber ich muss auch zugeben, dass in den schweren Momenten und besonders während meines großen Tiefs am Ende des Jahres, haben sie mir doch sehr gefehlt. Aber für meine Eltern war es das Gleiche.
Mittlerweile hat ein bisschen Heimweh eingesetzt, besonders fehlen mir mein 13-jähriger Bruder Leonard, Francesca, eine sehr gute Freundin, und Max, mein Freund, den ich leider in Deutschland zurücklassen musste. Und das ist auch schon die nächste Ungewissheit, mit der ich weggereist bin: wie wird es für uns als Paar weitergehen, wenn ich so lange weg sein werde?
Das war DIE große Frage, die ich nicht so richtig beantworten konnte. Natürlich hatten wir Angst, dass unsere Beziehung durch die Distanz in die Brüche gehen würde, dass man sich irgendwann auseinanderlebt und die Gefühle verschwinden werden. Natürlich ist es schwer und er fehlt mir unheimlich, aber wir haben uns keinen Stress gemacht, sondern es auf uns zukommen lassen und so war es genau richtig, denn es läuft super! Also auch wenn es schwierig ist: Auslandsjahr und Freund kann funktionieren, wenn man sich genug liebt, ausreichend Vertrauen hat und das ganze einfach ohne Druck angeht.
Jetzt haben wir uns seit sechs Monaten nicht persönlich gesehen und es bleiben noch vier, aber ich hoffe und denke, dass wir das auch noch aushalten werden, denn Max ist eine der wichtigsten Personen in meinem Leben. Er hat mich während meines Aufenthaltes hier viel unterstützt und ich will ihn auf keinen Fall verlieren!
´Jede Tat beginnt mit einem Traum´ und ich würde mich jeder Zeit wieder für ein Jahr in Frankreich entscheiden!
Aber man sollte sich wirklich gut überlegen, ob man wirklich bereit ist, diesen enormen Schritt zu wagen, denn das ist nicht Ohne. Es wird schwere Zeiten geben und nicht in jedem Fall hat man so viel Glück wie ich es hatte. Man sollte sich darüber bewusst sein, dass sich sein ganzes Leben verändern wird und damit auch automatisch das der Familie und der Nahestehenden. Es wird unweigerlich nicht alles so verlaufen, wie man es sich vorgestellt hat. Denn zwischen dem Traum und der Realität gibt es einen Unterschied, den man nicht unterschätzen sollte!