- WELTBÜRGER-Stifter: CAS
- Programm: Schüleraustausch
- Land: Costa Rica
- Dauer: 10 Monate
- Name: Ira
Meine ersten drei Monate
Mein Name ist Ira Lily W. ich bin sechzehn Jahre alt und gehe in die 10. Klasse des Helene Lange Gymnasiums in Hamburg. Vor etwa drei Monaten habe ich meinen Auslandsaufenthalt in Costa Rica begonnen und nach und nach das kennengelernt was ich für ein Jahr mein Zuhause nennen darf. Hier möchte ich Euch und Ihnen von meinen persönlichen Erfahrungen berichten.
Meine ersten drei Monate hier, in Costa Rica, sind wie im Flug vergangen. So rutschte und schlidderte ich, berauscht von all den neuen Eindrücken, durch die ersten Wochen. Bananenstauden, Kaffee- und Zuckerrohrplantagen, Agaven, prächtige Palmen und tropische Blumen umgeben mein neues Zuhause in dem ich mit meiner Gastmutter, meinen beiden Gastbrüdern und ihren drei Hunden und vier Katzen wohne. Die Berghänge ziehen sich zu unserer Linken hoch, Tukane und Kolibris durchkreuzen den parkähnlichen Garten in dem ich in Bambusschaukeln sitzen oder Zitronen, Bananen und Orangen pflücken kann.
Elf Kilometer sind es bis zum nächsten, am Fuße des Vulkan Turrialba (3.328 m) gelegenen, Dorfes: eine Ansammlung bunter Bungalows beherbergen Queserías, Fruterías, Carnerías und die Eisdiele meiner Mutter. Jedes zweite Wochenende nehmen meine Gastbrüder und ich den Bus in die siebzig Kilometer entfernte Hauptstadt San José in der die meisten Austauschschüler mit ihren Familien wohnen. Dort besuchten wir das neoklassizistische Nationaltheater das zu einem der schönsten Mittelamerikas gehört, erkundeten das Gassengewirr des fremdartigen Mercado Central, gingen ins Kino und in den Einkaufszentren spazieren. Oft besuchten wir Freunde und Familie und so lernte ich auch die im Norden liegenden Strände kennen an denen die Großfamilie meines Gastvaters unter Mangobäumen ihr Haus stehen hat. Mit CAS besuchte ich den Arenalvulkan, badete dort in den Thermalquellen und durchquerte über sieben Seilbahnen den Regenwald. Mit meiner Gastmutter bestiegen wir die Mondlandschaft des Vulkanes Irazú und in Sámara konnten wir am Strand entlang galoppieren oder uns mit dem Surfbrett in die salzigen, donnernden Wellen wagen.
Unter all den neuen Eindrücken wurden die Tage zu einem nervösen, bunten Strom und ich versuchte mich schnell mit dem nötigen Vokabular auszurüsten um dem standzuhalten und mich mitteilen zu können. Darüber hinaus begann ja die Schule schon nach dem ersten Wochenende mit meiner Familie. Dort fällt es mir weniger leicht mich einzugewöhnen doch mit der Zeit gewinne ich die costaricanische Gelassenheit; „tranquilla“ wird mir hier häufig geantwortet wenn meine kleinen Sorgen größer scheinen. Dann fühle ich mich in all der tropischen Fremdheit hier zuhause und ohne das es an Exotik verliert scheint doch alles hier immer mehr mit meiner Heimat zusammenzuwachsen und ich bin sehr glücklich über die neuen Freundschaften die ich schon geschlossen habe und noch schließen werde.
Wie alles begann
Ich entschied mich im November letzten Jahres ein Jahr im Ausland zu verbringen. Meine Mutter besuchte eine Informationsveranstaltung auf welcher Schüler meiner Schule von ihren Erfahrungen im Ausland berichteten und kam begeistert zurück. Unabhängig davon wurde ich am selben Tag gleich zwei Mal ermutigt einen Auslandsaufenthalt zu wagen. Nach dem Abendessen war die Entscheidung gefallen. Obwohl ich nicht wusste was auf mich zukommen würde, fühlte ich doch, dass ich die richtige Entscheidung getroffen hatte und bin mir jetzt mit nichts sicherer. In den folgenden Monaten wählten wir das Land und die Organisation aus, sprachen mit Bekannten die ähnliche Erfahrungen gemacht hatten, führten Skype-Gespräche mit CAS, besuchten das Vorbereitungsseminar in Berlin und waren eine Woche vor dem Abflugtag bereit für mein Abenteuer. Nach der ersten E-Mail meiner Gastmutter schrieben wir immer öfter auf Whatsapp, dann folgten Sprachnachrichten und schließlich konnten wir uns über Skype das erste Mal sehen. Mit jedem Tag weniger der mir noch in Deutschland blieb fühlte ich mich mit meiner Entscheidung wohler und sicherer.
Fernweh? JuBi!
Wenig später fanden wir Hamburger uns auch schon, bereit zum Abflug, am Flughafen ein. Zusammen verabschiedeten wir unsere Eltern und beeilten uns endlich ins Flugzeug zu steigen um dreizehneinhalb Stunden später die Lichter San Josés unter uns zu erblicken. Wir flogen dicht über die Cordillera Volcánica Central und ich staunte darüber wie bergig Costa Rica ist. An den Ausläufern der Bergketten wurden die letzten Häuser von den Wäldern verschluckt und bis zur plötzlich eintreffenden Morgendämmerung versteckte sich Costa Rica vor unseren Augen.
Nachdem sich unsere Gruppe allein, müde und aufgeregt durch Passkontrollen und den Zollbereich geschlängelt hatte, wurden wir von CAS am Flughafen empfangen und kurz darauf ordneten wir unsere Koffer auf das Dach eines winzigen Kleinbusses und uns selbst, in drei Reihen ohne Mittelgang, ins Innere des Busses.
Inzwischen war viel Verkehr auf den Straßen unterwegs, der Tag begann hier viel früher als in Deutschland und als wir das Zentrum der Hauptstadt San José erreichten, war Alles auf den Straßen. Und als ich die bunten Bungalows, die vielen Hunde und Schaukelstühle sah, da erschien es mir auf einmal so unwirklich, dass ich hier ein Jahr leben sollte, in der Fremde, in der Wärme, in den Tropen, dass ich mich gegen die Flut an neuen Eindrücken sträubte. Wie in Deutschland gepflückt, hier kurz heiß eingetunkt, und dann am Schopf gepackt und hoffentlich schnell wieder herausgezogen, fühlte ich mich. Sicher, dass es genauso werden würde, versuchte ich meine Ankunft für meine Eltern in Fotos festzuhalten, um mein Erleben mit ihnen zu teilen.
Nach einer waghalsigen Berg- und Talfahrt und dem dazugehörigen Nervenkitzel, stärkten wir uns im Hotel, hoch oben in den Bergen, mit phänomenaler hundertachtzig Grad-Sicht auf ganz San José. Unsere Zimmer lagen direkt am Abhang, in der Ferne ragte der, mit seinen 3.432 Metern, höchste Vulkan Costa Ricas, der Irazú (grollender Berg) auf. Nebel kroch ab der Mitte des Tages von unten über den Rand unserer Aussichtsplattform und drang über die Frontscheibe unserer Zimmer auch ins Innere.
Die eineinhalb Tage dort oben waren bisher die einzigen die ich als kühl empfunden habe und darüber bin ich immer noch froh, auch wenn ich mir inzwischen schon öfter eine kühle Nordseebrise herbeigesehnt habe.
Nach dem Frühstück lernten wir endlich die komplette Anzahl der CAS-Betreuer kennen. Auf Spanisch und Deutsch spielten wir verschiedenste Spiele und lernten uns so innerhalb einiger Stunden gut kennen. Nachdem wir uns miteinander, mit CAS, dem Austausch und dem Land vertraut gemacht hatten, bestiegen wir nach eineinhalb Tagen, ausgerüstet mit einer Infomappe und vielen möglichen neuen Freunden, den selben Bus in Richtung Zentrum San José um von unseren Gastfamilien abgeholt zu werden. Endlich begann sich in mir die große Freude auszubreiten die ich seit meiner Ankunft erwartet hatte. Meine Nervosität machte Aufregung und Vorfreude Platz und ich dachte an die lieben Nachrichten meiner Gastmutter auf Whatsapp und an meine Ankunft, die mit dem Geburtstag meines jüngeren Gastbruders zusammenfiel und deshalb einen feierlichen Start erhalten würde.
In unserer gemeinsamen Nervosität schalteten wir irgendwann die Musik im Bus aus und streckten die Finger durch die geöffneten Fenster und unsere Haare flatterten nervös mit unseren Herzen im Fahrtwind. Als wir ankamen hatten wir zum Glück noch ein paar Minuten Zeit bevor die ersten Familien eintrafen. Ich wippte auf den Zehenspitzen, machte mich bei jedem ankommenden Auto lang und starrte hinter die Autofensterscheiben um dort irgendwann das Gesicht meiner Gastmutter zu entdecken. Mit ihr stiegen meine beiden Gastbrüder aus und sie wirkten auf mich zuerst vor allem klein. Wir freuten uns und meine Gastmutter und die costaricanische CAS-Betreuerin quasselten sofort auf Spanisch los. Vergeblich versuchte ich ihnen zu folgen, verstand aber ihr Lachen und die Umarmung, die meine Gastmutter mir gab.
Wie selbstverständlich hat sie mich sofort als Familienmitglied angesehen und behandelt; die ersten Worte wechselten wir im Auto und davor, und es war unverkrampft und ganz ohne die umständliche Scheu die es hätte geben können. Ich fühlte mich sofort wohl. Auf dem Weg lernte ich einige costaricanische Begriffe und wenig später eine Reihe von Freunden meiner Gastmutter kennen. Ein bisschen durcheinander aber glücklich versuchte ich mir gleichzeitig alle Namen einzuprägen, den Ge-
sprächen zu folgen, zu essen und zu trinken. Mein jüngerer Gastbruder erhielt Geschenke, wir aßen Kuchen und kamen schließlich nach zweistündiger Fahrt, gegen Mitternacht, in meinem neuen Zuhause an.
An meinem ersten Wochenende habe ich Berge von Mangos gegessen (ich liebe Mangos:)!!) und den nahen Fluss kennen gelernt. Nachdem ich die darin treibenden Bananenblüten und Palmenblätter bestaunt und das klare, schnell strömende Wasser genossen habe, sind wir durch den Fluss gewatet um über das Gebäude einer ruinengleich pittoresken Kaffeefabrik zurück zum Haus zu gelangen. Dort tauchte plötzlich ein Tapir aus dem Gebüsch auf, tanzte einen seltsamen Tanz und verschwand.
Die erste Zeit
Mein erster Schultag verlief viel chaotischer als erwartet: Keiner meldete sich im Unterricht, man rief den Lehrer einfach energisch bei seinem Vornamen. Alle redeten sofort schnell auf mich ein, küssten sich auf die Wange, umarmten die Lehrer, schrieen durcheinander oder diskutierten Facebook-Schönheiten und die heimische Küche. Ich brauche noch immer etwas Zeit um dort meinen Platz zu finden.
Schon am darauf folgenden Wochenende lernte ich die Hauptstadt San José kennen. Meine Gastbrüder und ich fuhren mit dem Bus zum Haus meines Gastvaters und meiner Gastoma. Meine Cousinen lebten im selben Kondominium, ein paar Häuser weiter. An diesem Tag besichtigten wir das Nationaltheater und ein Museum, dessen Kunst- und Münzausstellung, sowie ein Portrait der acht indigenen Völkergruppen Costa Ricas. Dann ließen wir uns im bunten Gewimmel der sich geschäftig durch Gassen drängenden Ticos treiben. Mittags besuchten wir den Mercado Central der mich sofort in seinen Bann schlug. Wir betraten seinen, wie zu einem Wohnhaus gehörend aussehenden, Eingang und fanden uns in einem überdachten Labyrinth kleiner Gassen wieder. Kochdunst stieg von den engen, hier „Soda“ genannten, Restaurants auf und vermischte sich mit dem Duft von Gewürzen, Kaffee und Leder. Man verkaufte brutzelnde Empanadas (Teigtaschen), alle Variationen des klassischen Gerichts Arroz con Pollo (Reis mit Hühnchen), fremdartige Gemüse- und Obstsorten, sowie Fisch und Fleisch neben Sätteln und traditionellen Tonkaraffen und noch vielem mehr. Ich war hin und weg!
Einige Tage später besuchte ich zusammen mit meiner Gastmutter meine erste Salsa- und Merenguestunde. Ich war sofort begeistert und meldete mich verbindlich für den Kurs an. Langsam habe ich meine anfängliche Scheu verloren und kenne inzwischen auch die Tanzschritte. Vor ein paar Wochen haben meine Gastmutter und ich die Probe gemacht: Bis drei Uhr morgens habe ich den richtigen, tico-haften Hüftschwung nachgeahmt und bin dann müde und glücklich nach Hause zurückgekehrt.
Vor wenigen Tagen bin ich mit CAS nach Panama auf meinen dritten und bisher längsten Ausflug gefahren. Ich bin begeistert! In Wassertaxis fuhren wir einen palmengesäumten Strand nach dem nächsten an, bestaunten dort tellergroße Seesterne, schnorchelten und hatten sogar das Glück Delfine zu beobachten. Die Nächte verbrachten wir in einer Reihe blaugestrichener Holzhäuser, direkt über dem Meer. Ich konnte gar nicht genug am und im Meer sein und so nahmen wir am dritten Abend kurzerhand unsere Decken mit zu den Betten auf der, auf Stelzen über das Meer gebauten, Holzplattform und schliefen in dieser warmen Nacht unter dem Sternenhimmel.
Am Morgen standen wir zum Sonnenaufgang um halb sechs auf, sahen Rochen und Schwärme kleiner silberfarbener Fische unter uns vorbeiziehen. Später zogen die ersten Fischerboote, schmale, grob gezimmerte und bunt angestrichene Kanus, aufs Meer hinaus und wir grüßten sie vom Steg aus. Gegenüber unserem wundervollen Hotel waren die Häuser auf Stelzen bis ins Wasser hinein gebaut. Dort, auf der Hauptinsel, legten wir mit unseren Wassertaxis an um in einer der verrückten, kunterbunt karibischen Bars am Ufer ein großes Eis zu genießen. Als wir uns nach der letzten rasanten Fahrt von dem Meer und unseren Wassertaxi-Fahrern verabschiedet hatten, stiegen wir in den Bus und überquerten wenig später über eine marode Eisenbahnbrücke die Grenze zu Costa Rica.
Nachdem ich auf den letzten drei CAS-Ausflügen den Strand und das Meer auf der Pazifikseite, den Vulkan Arenál und die Karibikküste innerhalb von nur drei Monaten kennen gelernt habe, werde ich die nächsten eineinhalb Monate hier verbringen. Dann wartet eine Reihe von angebotenen Freiwilligenprojekten auf mich. Am liebsten würde ich beim Schildkrötenschutz oder in einer autark arbeitenden Siedlung in den Bergen bei der Käseherstellung, der Kaffeeernte und dem Schutz der Regen- und Nebelwälder mithelfen.
Kurz darauf, nur eine Woche später, nimmt mich meine Familie mit auf eine einmonatige Reise zu ihren Verwandten nach Mexiko! Dort werden wir alle zusammen, zu etwa zwanzig Personen, Weihnachten und Silvester feiern. Ich bin schon ziemlich aufgeregt und inzwischen auch die ganze Familie! Meine Gastmutter schwärmt von mexikanischen Spezialitäten, verspricht mir eine Piñata zu Weihnachten und plant aufgeregt die verschiedensten Ausflüge und die dort stattfindende Geburtstagsfeier meines älteren Gastbruders.
Inzwischen habe ich mich soweit zurechtgefunden dass ich nun meinen Alltag mehr und mehr mitgestalten kann. Noch habe ich mich nicht vollends entschieden, die Auswahl besteht zwischen einer zusätzlichen Tanzstunde mit Jugendlichen aus dem Dorf Turrialba und Reitunterricht in einer Ranch in unmittelbarer Nähe, wo eine Schar deutscher Mädchen ihr soziales Jahr absolviert. Außerdem gibt es in der benachbarten Universität einen Kletterkurs und einen Chor und darüber hinaus hundert Dinge die es noch zu entdecken gibt. Nicht zuletzt habe ich jetzt auch einige Freunde gefunden die ich noch besser kennen lernen will und eine wundervolle Gastfamilie und Verwandtschaft die ich sehr lieb gewonnen habe und der ich das gerne noch mehr zeigen würde. Ein Jahr erscheint mir viel zu kurz um Costa Rica zu entdecken aber nicht um es, so intensiv es mir gelingt zu erleben.
Ausflüge und Einleben
Drei Reisen prägten die letzten Monate besonders intensiv: zum einen der Kurzurlaub mit einer Freundin aus der Schule, meine Freiwilligenarbeit im Bergdorf Durika und natürlich der Familienurlaub in Mexiko. Von diesen spannenden Erlebnissen möchte ich gerne ausführlich berichten.
Mitte November lud mich eine Freundin ein, vier Tage Ferien mit ihr zu verbringen. Schon zuvor war ich ein paar Mal bei ihr zuhause gewesen und kannte bereits ihre Familie. Ihr Haus steht direkt unterhalb des Vulkans Turrialba und man hat einen wundervollen Ausblick auf das gesamte Tal. Über unzählige Pfade lässt sich die Anhöhe erkunden, sie führen irgendwann zu dem von der Familie geführten Hotel. Für dieses und das eigene Zuhause werden täglich köstliche Nachtische fabriziert, Brot gebacken, Marmeladen eingekocht und Pesto hergestellt. Bevor wir für drei Tage an den Strand fuhren, habe ich diese besonderen Bedingungen noch intensiv genossen: Verbrachte meine Zeit damit von meiner Freundin das Brotbacken zu erlernen, in Acryl zu malen und dabei schräge Musik zu hören.
Auf der Hinfahrt, ein paar Stunden vor unserer Ankunft im Hotel, mussten wir einen breiten Fluss überqueren. Als wir dort ankamen entschieden wir zu Fuß über die Brücke zu laufen, denn so könne man die Krokodile sichten, die sich angeblich vielzählig in dem Gewässer tummelten.
Nie zuvor hatte ich ein beeindruckenderes Tier gesehen…. An diesem Tag hatten wir das Glück gut zwei Dutzend Krokodile dabei zu beobachten wie sie ihre massigen Hälse aus dem Río Tárcoles stießen und ihre urzeitliche Kraft in Zweikämpfen zur Schau stellten oder bewegungslos mit aufgesperrtem Maul an seinen Ufern lagen. Es war ein außerordentliches Erlebnis dass mir immer in Erinnerung bleiben wird!
Am darauffolgenden Tag brachen wir auf, um einen besonderen Strand zu erkunden, an dessen Spitze eine Sandbank in Form einer Walflosse aufs Meer hinausragt. Die Wale selbst passieren zu bestimmten Zeiten im Jahr diesen Ort und sind dann vor dieser Küste, die natürlich den Namen Costa Ballena trägt, mit ein bisschen Glück zu sichten. Der Strand ist Teil des gleichnamigen Nationalparks und als wir durch die Mangroven auf diesen zuliefen, warnten uns alle zwei Meter Schilder vor Alligatoren in den Flüssen die neben uns ins Meer flossen- und mir kamen böse Erinnerungen.
Zu unserer Linken ragten nass die bewaldeten Berge auf, hinter uns wuchsen dicht die verschlungenen Mangroven bis auf den Strand hinaus, der verlassen und von Flussläufen durchzogen sich bis zur Sandbank am rechten Horizont erstreckte. Weit und breit war kaum ein Mensch zu sehen. In den Bergen stieg feuchter Nebel auf, aber die Luft an der Küste war klar und es wehte eine Meeresbrise. Und es war ungewöhnlich still. Barfuss liefen wir staunend los und genossen den Platz um uns zu drehen und Quatsch zu machen. Auf dem Weg durchwarteten wir einige Flüsse, dessen Wasser uns bis zur Hüfte reichte und ich dachte schon wieder an Krokodile. Bald sprachen wir kaum noch und spürten der Stille nach. An der Küste angekommen versteckten wir unsere Wertsachen in den hohlen Baumstümpfen unter den krummen Palmen an den Ausläufern der Wälder. Am Strand verwandelte ich mich noch in eine sandige Meerjungfrau und wir schwammen ein bisschen. Plötzlich deutete die Mutter meiner Freundin aufgeregt auf etwas weit draußen im Meer. Dann erkannte auch ich dort die Fontänen einiger Wale. Ich suchte das Meer mit den Augen ab, bis wir im warmen Regen aufbrachen und geradewegs aufs Meer hinausliefen.
Dort wo die Wellen auf die Sandbank trafen, schlugen sie gegeneinander. In diesem Zentrum der Kräfte liefen wir unseren Weg der aus nichts weiter als ein bisschen angehäuftem Sand bestand; die Wellen schlugen über uns zusammen, klatschten gegen unsere Körper während wir uns unseren Weg mitten durch das Meer bahnten. Ich fühlte mich wie Moses der das Meer teilt und auch wenn dieser plötzliche, biblische Bezug mich irritierte, fand ich ihn später überraschend im offiziellen Namen dieser Sandbank wieder: sie nennt sich tatsächlich Moses‘ Pass.
Ich schmeckte salzig und war eins mit den Wellen und dem Wind und all den Schalentieren und Algen und auch mit den Delfinen zu unserer Rechten die aussahen wie übereilige, rundliche Wellen. Konzentriert versuchte ich ihre grauen Körper ausfindig zu machen die leicht verschwanden, in dem Gemisch aus Meer und einfallendem Regen. Unter meinen Schuhsohlen zerbrachen die Muschelschalen als die Sandbank als kurze, schwarz-felsige Insel aus dem Meer auftauchte. Dort verblieben wir einen Augenblick in dem ich ein bisschen überfordert wahllos ein paar der außergewöhnlich schönen Muscheln einsammelte. Dann beobachtete ich die Gischt und die Schatten der Delfine darunter.
Viel zu schnell verließen wir die Insel wieder und blickten auf unserem Weg auf die Küste und den von Tropenwäldern gesäumten Strand. Aus den Wipfeln einer Baumgruppe stiegen auf einmal zwei Aras auf, ich sah ihre mit roter Farbe lockenden Flügel, bevor sie wieder in das dichte Blätterdach eintauchten. Ein paar Mal warfen sie sich in die Höhe, drehten ihre Flügel, wie die Fächer mexikanischer Tänzerinnen, flatterten diese uns kokettierend zu, wendeten ab und tauchten wieder ein, bevor sie von neuem weit kreisend zum Tanz riefen.
Der Anblick verzauberte mich und es kam mir sehr unwirklich vor. Ich glaubte sicher dass sich die ganze Welt in diesem Punkt, in dieser engen Schneise zusammenfand, hier mit den sich brechenden Wellen in einem Punkt kollidierte. Und es braucht nicht erwähnt zu werden: das war dort, wo ich entlang lief…;)
Demnach ist es nicht überraschend dass ich mich schlicht göttlich fühlte, wie ein aus dem Meer steigender Poseidon setzte ich, nicht ohne wehmütig zurückzublicken, meinen Fuß auf den Sand. Nun blieb nichts unberührt von der göttlichen Kraft die gerade dem Meer entstiegen war. Berührt und erstaunt lief ich mit offenen Augen und möglichst objektivem Blick den Strand entlang. Dort begegneten wir auf halbem Weg einem Mädchen von vielleicht fünfzehn Jahren die sich singend im dunkel gefärbten Sand wälzte, völlig in ihren Bewegungen versunken. “ Wie von Dämonen besessen-… oder von Göttern…“, dachte ich.
Aber auch meiner Freundin erging es so und wir schauten uns befremdet an. Das Meer spülte ruhig und silbern unaufhörlich die fernen Länder an und die Flüsse spülten Costa Ricas Innerstes nach außen, ins Meer. Der Nebel stieg aus den Bergen auf, drei Nebelsäulen: meine Freundin, ihre Eltern und ich, wie drei weiße, luftige Engel verbanden wir uns mit dem wilden Himmel.
14 Tage Freiwilligenarbeit
Mein zweites außergewöhnliches Erlebnis war mein vierzehntätiger CAS-Freiwilligendienst in dem Bergdorf Durika, das auf 1650 Metern im Talamanca-Gebirge liegt. Den knapp zwanzig Kilometer langen Weg bewältigten wir in dem robusten Taxi der Dorfgemeinschaft: etwa zwei Stunden schlitterte es die gänzlich unbefahrbare Straße hinauf, durchquerte einen Fluss und setzte mich schließlich in jenem, über den Wolken gelegenen Dorf, ab. Auf der Hinfahrt habe ich auf die Täler und Gebirgsausläufer hinabgeschaut die Teil der zwei Reservate der indigenen Völker Cabécar und Bribri formen: weit über das Tal gebreitete, wilde Flussströmungen, Gebirgskämme die so scharfkantig anmuteten, dass sich das Licht an ihnen brach und dann gesprenkelt in den tiefen, weich wogenden Gräserteppich fiel, in die Erde einsickerte. Im Auto roch es nach Wildblumen und in meiner Begleitung befand sich ein älterer Mann der sich mir als Profe vorstellte. Ich fragte nach und er sagte er unterrichte unter anderem Mathematik- und sei vor allem der Direktor der Schule in dem Dorf Durika. Es gab also Kinder in Durika, ich fragte wie alt sie seien und er sagte: „Neun und Elf“. Es waren die einzigen.
Für viele Jahre war Durika nur zu Fuß oder Pferd erreichbar gewesen, so wie es die Reservatsbewohner immer noch halten, wenn sie unter anderem Früchte verkaufen, im Tausch gegen Dinge die bei ihnen nicht wachsen, weil das Klima ein anderes ist. Manchmal kommen sie in größeren Gruppen nach Durika um einen Kurs zu besuchen, dann wird gebacken, Seife hergestellt oder sie erfahren etwas über die Bewirtschaftung des Bodens.
Solche Kurse, aber auch Feste, Tänze, Theatervorstellungen und kleine Geschenke organisiert die Gemeinschaft regelmäßig für die beiden Reservate. Touristen und Freiwillige hingegen lernen etwas über deren uralten und einzigen Kulturen, schließlich sollen sie bewahrt und der Lebensstandard der Bewohner der Reservate verbessert werden.
Ich unternahm zuallererst eine Führung durch das Dorf, welches aus etwa zwölf spartanischen Wohnhütten, dem Restaurant und einem Gemeinschaftshaus, in welchem ein Massage- und Behandlungszimmer, ein Versammlungsraum, eine Sauna und ein Fitnessstudio untergebracht sind. Meine Hütte stand in der Nähe des Gemüsegartens, der vor vielen Jahren in Terrassen angelegt worden war. Die Beete werden regelmäßig aufgeschichtet, gepflegt, von neuem angelegt. Ohne intensive Pflege wächst dort nichts, der Boden führt kaum Nährstoffe. Die ersten Arbeiten die von der Gemeinschaft verrichtet wurden, waren Aufforstungsprogramme. Das nun so dicht bewaldete Dorf war in seinen Anfängen, um 1990, ein ausgelaugter, von Erosionen heimgesuchter Hang gewesen. Insgesamt wurden seitdem über 1.500.000 Bäume gepflanzt und heute umfasst das geschützte Gebiet etwa 8500 Hektar artenreichen Regenwald. Bedrohte Spezies wie Jaguare, Tapire, Harpyien und der Quetzal sind hier wieder zahlreich anzutreffen. Auch Pumas gäbe es, einer habe vor einiger Zeit eine Ziege gerissen, so erzählte mir Eduardo welcher mit mir die Führung machte.
Am Morgen hatte ich schon eine Art Haferbrei mit Rosinen und Ziegenmilch gegessen. Das war glaube ich das leckerste, was ich je in meinem Leben gegessen habe ;).und paar Tage später bat ich dann nach dem Melken darum, die noch warme Milch probieren zu dürfen. Sie schmeckte köstlich und von da an begann mein Heißhunger auf Ziegenmilch und folglich meine Liebe zu der Arbeit mit ihnen….;).
Zwei, in jeder Hinsicht, gesündere Wochen habe ich noch nie verbracht. Körper, Seele und Geist wurden hier sorgsam gepflegt, ich liebte es ebenso um fünf Uhr aufzustehen wie kalt zu duschen. Zu dieser Tageszeit war es noch sehr kühl und klar aber die Sonne ging auf und ich genoss ihre Strahlen und das goldene Licht im Tal. Wen ich duschte, fühlte ich mich so lebendig; ich benutzte die in Durika hergestellte Seife in Schmetterlingsform, die man mir auf das große, weiße, kuschelige Saunahandtuch gelegt hatte. Ich freundete mich mit den anderen Freiwilligen an: zwei von ihnen reisten mit dem CAS- Freiwilligenprogramm, zum Ende hin traf ich auf Sira aus meiner Austauschgruppe, außerdem waren dort noch eine Alleinreisende, zwei Jungen aus Costa Rica, die ein mehrwöchiges Schulpraktikum absolvierten und zwei junge Männer und eine Frau aus dem Reservat die Mitglieder der Gemeinschaft werden wollten und schon längere Zeit in Durika lebten. Mit ihnen führte ich alle Arbeiten aus die Durika bestehen lassen.
Die Gründergemeinschaft war vor knapp vierzig Jahren zu Fuß und Pferd nach Durika gezogen, mit vielleicht 300 Säcken im Gepäck, denn für eineinhalb Jahre wollte keiner von ihnen das Dorf verlassen. Ohne besondere Kenntnisse machten sich diese Leute mit großer Wahrscheinlichkeit zum ersten Mal in ihrem Leben daran Bäume zu fällen und kilometerweit zu tragen um irgendwann alle zusammen in der ersten Hütte Durikas zu schlafen, zu kochen, zu leben. Am schwierigsten, so erzählten sie, sei nicht die körperliche Überforderung, sondern das Zusammenleben unter diesen besonderen, intensivierten Bedingungen gewesen.
Ihr Lebenskonzept geht nun, nach jahrelanger Arbeit vollends auf. Lebten sie gut fünfzehn Jahre ohne Strom, betreiben sie jetzt eine kleine Turbine, die kilometerlangen Rohre haben sie selbst verlegt. Sie verstehen sich auf Naturmedizin, Yoga und Meditation, sind geschickte Landwirte, beschäftigen sich mit Philosophie und Psychologie, betreiben und vermarkten Durikas Bäckerei, Hotel und Restaurant, haben sogar Facebook ;)!, studierten Ernährung und die Haltung ihrer Ziegen und Hühner, unterrichten und stellen auch feine Seifen, Parfüme und Öle her. Keiner von ihnen ist faul und war es niemals in vierzig Jahren.
Ich lernte diese besonderen Menschen und mich selbst in diesen zwei Wochen intensiv kennen, während der Arbeit, in der Freizeit, auf unzähligen Wanderungen die Eduardo mit mir und den anderen unternahm, bei Bädern im eiskalten Bergsee und dem Erklettern der Mammutbäume. Diese Wanderungen waren Teil der verbreiteten Verschrobenheit in Durika, sie begannen an einem beliebigen, immer steilen Abhang und mit einer Machete in der Hand und führten meistens ins Nichts, manchmal an Wasserfälle und immer in den wilden Wald. Niemals, das war Hauptsache, gab es einen Weg oder eine vorgegebene Richtung. Also rutschte, schlitterte, kraxelte, taumelte ich genussvoll und riss an allem was mir an Wurzeln, Baumstämmen und Lianen vor die Augen kam. Oftmals rüsteten sich diese mit zehn Zentimeter langen Stacheln oder es bestand die Gefahr eine Schlange statt einem Ast zu erwischen. Aufpassen mussten wir eben, denn ein Gegengift oder überhaupt eine Ausrüstung nahmen wir nie mit auf unsere zahlreichen Ausflüge. Ich benutzte meinen Körper mit allen Kräften und Mitteln die er mir bot, in allen mir möglichen Disziplinen. Manchmal tauschte Eduardo meine Arbeitszeit gegen eine Wanderung ein, er hatte selbst einen unermesslichen Spaß dabei. Wie ein Kind freute er sich an ihnen und am meisten über unsere Begleitung. Oft fand ich ihn auf Kiefern hockend, im See schwimmend, Klimmzüge an Ästen machend, Zitronen essend. Dann fragte er immer ob ich nicht Lust auf eine Wanderung hätte und ich sagte ausnahmslos zu.
Dazwischen blieb mir viel Zeit in der ich Orte aufsuchte, die ich besonders mochte. Manchmal öffnete ich die Tür des Seifenlabors und passierte danach den schönsten Ausblick Durikas, beobachtete wie der Nebel in den Bergen aufzog.
Auf dieser Terrasse schenkte mir eine junge Frau ein paar Yogastunden, ein anderes Mal lehrte uns Profe eine unglaubliche, mächtige Meditation die einen den eigenen Körper nicht mehr spüren ließ und ab und zu las ich in einem Buch das sich „cultivating inner peace“ nannte, entschlossen meine Zeit in Durika auf diese Art und Weise zu nutzen.
Als ich wirklich Ruhe gefunden hatte, erlebte ich die Berge und ihre Größe stärker. Ich setzte mich dort ins Gras, wo ich den Blick am weitesten schweifen lassen konnte, über die Bergfalten in denen sich die Wolken sammelten. Ein Mal tanzte ich dort, sang und schrie mir die Seele aus dem Leib. Ein Regenbogen blähte sich vor mir auf, inmitten zweier Berge die ihn mir fest- und hinhielten damit ich seine Schönheit genoss, ich fühlte, sie würde mir geschenkt.
Am Abend im Restaurant, in einem Korbstuhl zu klassischer Musik schaukelnd, beobachte ich wie sie versank. Ebenfalls genüsslich verspeisten wir darauf das, von vielen Tassen hauseigenem Kaffee versüßte, Abendessen. Einen anderen Abend saßen wir Freiwillige in Decken gewickelt im Dunkel der Nacht und blickten auf die Berge uns gegenüber, als wir dort, weit entfernt, zwei sich auf uns zu bewegende Lichter entdeckten. Sie pendelten hin und her, mitten durch den Wald, dort wo keine Straße verlief und wir rätselten, bis zu ihrer Ankunft ungefähr eine Dreiviertelstunde später. Im Licht der Laternen erkannten wir die Gesichter der beiden jungen Männer aus dem Reservat die jetzt in schnellem Trab den Wald verließen. Ohne auf unsere erschrockenen, vor Bewunderung angespannten Mienen einzugehen, liefen sie etwas übertrieben federnd, kraftvoll und stolz wie immer an uns vorbei. Dass sie sich anscheinend ohne Worte verständigten machte sie für uns unheimlich anziehend. Sie waren schon fast vorüber getrabt, hatten uns nur kurz gegrüßt, da grinsten sie doch, schief und ohne sich anzusehen, konnten sie doch ihre Freude an diesem gelungenen Auftritt nicht ganz verbergen.
Wir sollten sie besser kennen lernen und entdecken, dass es viel gab was uns unterschied- Dinge die sie machten, von denen sie wussten, die sie auf geheimnisvolle Weise wie kein anderer beherrschten, ja besaßen- sie jedoch im Großen und Ganzen so waren wie wir. Als ich schließlich abreiste, hatte ich mit dem Herzen Durika erkundet und in ihnen allen Freunde gefunden.
Urlaub und Weihnachten in Mexiko
Nur eineinhalb Wochen später reiste ich mit meiner Gastfamilie für mehr als einen Monat nach Mexiko. Die Familie meiner Gastmutter hat sich sehr bemüht, dass ich an erster Stelle sie, dann die mexikanische Küche und schließlich die mexikanische Kultur kennenlernte. Ich habe eine kompromisslose Gastfreundschaft und Offenheit erlebt: wie selbstverständlich teilten die Freunde und Mitglieder der Familie alles mit uns und mir. Die ersten Tage verbrachten wir in der vor Guadalajara liegenden Stadt Tlaquepaque in Zentral- Mexiko. Die Stadt ist aufs liebevollste hergerichtet und ein Ort an dem die traditionelle, mexikanische Handwerkskunst geliebt und in großen Mengen ausgeübt und gehandelt wird. Einzigartig in ihrem Reichtum an Farben, Techniken und Stilen war es mir ein sinnliches Vergnügen auf so kleinem Raum so viel Kunst zu sehen.
In Tlaquepaque wird jeder Quadratmeter künstlerisch gestaltet und bei all der Vielfalt existiert eine beeindruckende Originalität, eine geniale Verschiedenheit an Materialien, Techniken, Formen, Größen und Objekten. Die Stadt ist vor allem durch ihren Traditionsreichtum ein großer Genuss. So sind sowohl die Motive der Kunst traditionell mexikanisch (wie Szenen aus dem Fest des Todes) wie auch die Gerichte. Denn fast gleichwertig mit der Kunst ist in Tlaquepaque die Küche. Am besten isst man „en la calle“ und probiert sich durch die Spezialitäten eines jeden Standes. Das ist eine Lust, zumal die mexikanische Küche sehr geschmacksintensiv (oder vor allem scharf!;)) und fern von der Deutschen ist, so habe ich fast ausschließlich Dinge gegessen deren Geschmack mir bisher unbekannt war. Darunter natürliches, traditionell in Fässern unter Kühlung gerührtes, Avocado- Mais- Vino Tinto- Tequila- und Mochítoeis das mit einem Spachtel in Plastikbecher geschichtet wird. Eis in dieser Form heißt „Nieve“ (Schnee) und hier gibt es die größte Auswahl (oft bis zu vierzig verschiedene Sorten), die Alternative dazu sind Paletas: selbstgemachtes Eis am Stiel das besonders die Kombinationskunst beherrscht: Früchte und Krokant wechseln sich mit Frischkäse und Vanillecremes ab, daneben sind sie spektakulär schön. Nicht weniger kreativ zeigen sich die Mexikaner bei dem was sie stumpf Agua nennen, jedoch eine Vielzahl von selbst gemachten Fruchtcocktails beschreibt. Selbst die ganz verrückten Dinge gefielen mir sehr: Alles wird in Chili gewälzt, sowohl Süßigkeiten als auch Chips treiben einem so die Tränen in die Augen.
Tortillas werden angehimmelt und das eigentliche, aufwendig zubereitete Gericht wird oft wie der Dipp behandelt in den man diese tunkt. Fleisch wird in einer Creme aus Schokolade und Nüssen serviert, mexikanisches Bier enthält Chili, Salz und Früchte. Und zum Abendessen trinken alle, egal welchen Alters, heiße Schokolade und essen Milchbrötchen, während zum Frühstück gerne Meeresfrüchte vertilgt werden. In diese und andere Geheimnisse der mexikanischen Küche hat mich meine „Latino-Oma“ eingeweiht. Sie ist eine wunderbare Köchin und als meine Gastmutter mir verriet, dass dies ihre persönliche Art sei Zuneigung zu zeigen, schenkte ich den Mahlzeiten noch mehr Aufmerksamkeit als ohnehin schon. Etwa drei Wochen habe ich in ihrem Haus gelebt und in dieser Zeit viele Familienmomente geteilt.
Am 24. Dezember feierten wir nicht nur auf die mexikanische Weise Weihnachten, sondern auch den fünfzehnten Geburtstag meines Gastbruders. Der fünfzehnte Geburtstag hat sowohl in Costa Rica als auch in Mexiko eine besondere Bedeutung, da sie damit in das Erwachsenalter eintreten und wird vor allem bei den Mädchen mit einer pompösen Feier gewürdigt. In Mexiko feierten wir mit dem traditionellen Walzer des Fünfzehnjährigen mit allen anwesenden Mädchen und Frauen und einer Tequila-Trommel: dem Geburtstagskind, das mit einem Handtuch um den Kopf gewickelt dasteht, wird ein Glas Tequila eingegossen während dieses unter großem Gewirbel im Kreis gedreht und geschüttelt wird. Weil das so ein großer Spaß war, beschlossen wir das bei jedem von uns durchzuführen und danach waren wir alle ein bisschen durcheinander.
Auf die Schokoladentorte mit explodierenden Kerzen folgte dann endlich die berühmte Piñata. Wir hatten zuvor vergeblich die Kleinstadt nach dem gewünschten Modell, einer Piñata in Eselsform, abgesucht und uns schließlich zweimal für die klassische Variante entschieden. Eine davon für Weihnachten und die andere für den Geburtstag meines Gastbruders, der sich riesig freute als meine Tante ihn und uns schließlich doch mit der perfekten Esels-Piñata überraschte. Den Rest des Abends tauschten wir Geschenke aus, indem wir mit der Person tanzten welcher wir ein Geschenk überreichten und dabei einige Verwirrungen hervorriefen, weil wir uns gleichzeitig die traditionellen Tänze unserer Länder beibringen wollten. Später entfachten wir noch Wunderkerzen, zündeten ein paar Böller und gingen schließlich im Morgengrauen zu Bett.
Zu zehnt fuhren wir für etwa eine Woche an den Strand, verbrachten dort viel Zeit auf engem Raum: Abends bereiteten wir ein großes Matratzenlager in der Küche aus, das zum Morgen wieder beiseite geräumt wurde. Obwohl sie sonst außergewöhnlich wenig beiseite räumten…. In dieser Familie schien jeder seinen Dickkopf zu haben, ihre starken Charaktere kamen sich oft in die Quere, wobei sie genauso gerne scherzten wie stritten. Ich finde ich hielt mich gut, aber irgendwann ging mir alles etwas zu nah, es war eben doch nicht meine eigene Familie, obwohl ich mich schon daran gewöhnt habe mich Zuhause zu fühlen. Sie nahmen mich an eine Strandpromenade mit an der alles übergroß und US-amerikanisch wirkte. Neben dem maßlosen Konsumangebot (das alle Betriebsbereiche umfasste) bot sie jene große Schönheit die von einem Ort ausgeht den die ganze Welt besucht und prägt. Ich gebe zu, dass mich die Intensität und Widersprüchlichkeit die ich in dieser Woche erlebte ein bisschen überforderte und ich war froher sobald ich mit meiner Gastmutter und meinen beiden Brüdern allein war.
Besucht haben wir auch die faszinierenden Islas Marietas, jene Inseln die einen Strand in ihrem Inneren bergen und das war natürlich ein tolles Erlebnis! Bevor wir die letzten köstlichen Tage aufs Neue in Tlaquepaque verbrachten, besuchten wir noch die zweitgrößte Stadt Mexikos, Guadalajara. Das war ein besonderes Erlebnis als ich nach etwa einem halben Jahr wieder europäisch anmutende Kolonialbauten und imposante Kirchen besuchte, mich aber der Vielseitigkeit, der Lebendigkeit und vor allem der Lautstärke nach zu urteilen nicht in Europa, sondern ganz sicher in Mexiko befinden musste.
Inzwischen fühle ich mich zu Hause in meiner Gastfamilie und zweiten Heimat Costa Rica. Das bedeutet für mich einfach dass ich mich entspannen kann. Für dieses wunderbare Gefühl braucht ein Austauschschüler wie ich vor allem Zeit in welcher er sich in der anfänglich fremden Umgebung einfindet. Mir wurde das fremde Costa Rica zur Heimat als ich fast alles im Alltag gesprochene Spanisch verstand, Freunde der Familie mich als ein Teil dieser wahrnahmen, wir uns aneinander gewöhnten: an Vorlieben und Abneigungen, an Eigenarten, Verrücktheiten und an die Alltagsroutine die uns verband. So entwächst unserem Zusammenleben ein gemeinsamer Rhythmus, neue Gewohnheiten entstehen sowohl für mich als auch für die Familie, wir können jetzt sogar kritisch oder begeistert auf diese reagieren. Ganz wie wir Lust haben und es für richtig halten. Wir können Risiken eingehen und Fehler machen. Nach wie vor bleibt mir ein bisschen Nervosität weil ich empfinde dass meine Situation unsicher, weil temporär, ist. Letztens habe ich deswegen zeitgleich eine meiner costa-ricanischen, sowie eine meiner deutschen Freundinnen zu Rat gezogen und bekam dieselben unterstützenden Worte zweimal zu hören, einmal auf Spanisch und einmal auf Deutsch… Wenn ich hier zu Hause bin, lassen sich demnach auch alle eventuellen Schwierigkeiten von hier aus lösen, dafür muss ich manchmal in mich hineinhorchen und andere Menschen zu Rate ziehen die mich eventuell noch gar nicht so gut kennen. Das ist zwar oft nicht einfach, verläuft dafür aber ausschließlich erfolgreich!
Ich bin glücklich über die Vielzahl der Menschen die mich mögen und versuche sowohl ihnen als auch mir selbst gerecht zu werden und schließlich die Zeit die mir noch bleibt richtig zu genießen.
Bevor diese langen Ferien endeten, zeigte uns mein Gastvater noch acht verschiedene Strände im Nordwesten Costa Ricas und wir verbrachten ein paar wundervolle Tage mit seiner Familie. Schlussendlich fuhr ich in die Hauptstadt San José zurück und tauschte auf dem CAS-Halbjahrestreffen meine Erfahrungen und Perspektiven mit denen der anderen Jugendlichen aus. Nach all den Reisen wieder Zuhause angekommen, ließ man mich kaum durchatmen: Am Abend tanzten wir mit Bekannten Salsa und Bachata in der Dorfdisco-;)- und den darauffolgenden Tag verbrachte ich auf dem Río Pacuare, einem der fünf besten Rafting Reviere der Welt. Der nächste CAS- Ausflug steht schon in wenigen Tagen bevor, diesmal geht es nach Manuel Antonio, dem „schönsten Strand Costa Ricas“ ;-), das Reisen nimmt nie ein Ende. Und deswegen könnt ihr euch schon mal auf meinen nächsten Bericht über bereiste Orte freuen.
Neue Schule, neuer Anfang
Nach diesen grandiosen Ferien lernte ich meine neue Klasse kennen. Wie ihr euch vielleicht noch erinnert, hatte ich mich früh zu einem Schulwechsel entschieden und konnte nun, zusammen mit meinen Gastbrüdern, die größte staatliche Schule des Dorfes besuchen. Der Tag der Einschulung verlief durchaus chaotisch. Ich trug zum ersten Mal eine Uniform in der ich fast gut aussah und das motivierte mich schon um etwa 5:30 Uhr, der in Costa Rica üblichen Zeit, aufzustehen.
Später saß ich dann in der Sporthalle der spärlich renovierten Schule und versuchte mich möglichst lässig und motiviert zu geben. Ich hatte Glück, denn die Freundinnen meines Gastbruders begrüßten mich gleich „typisch tico“: überschwänglich, liebevoll und unermüdlich redend und lachend einnehmend. Sie rutschten zur Seite, so dass ich mich zwischen sie setzen konnte und so hatte ich unerwartet einen Platz unter den wohl etwa tausend, sich in die kleine Halle drängenden Schüler/innen gefunden. Die herrschende Aufregung steigerte sich noch als die Aufteilung in die Klassen (pro Stufe waren es etwa acht) begann. Ich schaute mich um: die Schlichtheit der Uniform wurde allgemein als ein guter Anlass gesehen, sich und seine Person noch mehr in Szene zu setzen. Trotz des offiziellen Verbots außergewöhnlichen Aussehens aller Art, waren hier die verschiedensten Typen versammelt.
Der Trick ihres Zusammenlebens schienen mir gerade entdeckte Verhaltensnormen zu sein: Mir fiel auf, dass beinahe alle Mädchen die Haare in eine Vogelflug-V-Formation geschnitten trugen und man das rechte Bein über das linke schlagen musste. Es war gut, schon um diese Uhrzeit einen Tetrapak Orangensaft, einen giftig aussehenden Mango-Salz-Lolli oder eine Tüte Chips in der Hand zu halten und es wäre ganz falsch gewesen, dergleichen von zu Hause mitzubringen. Die Mädchen trugen ein buntes Desinfektionsfläschchen am Rucksack, Jungs eine Mini-Musikbox. Als Gentleman trug man eine eckige Brille, als beliebtestes „Girlie“ einen zu hoch gezogenen Faltenrock statt der Hose.
Ich machte mir nichts aus diesen Gesetzen und manchmal (so glaube ich im Nachhinein) machte ich mich auch lächerlich. Mir gefiel die neue Schule, ich fand sofort Freundinnen, war beliebt und fühlte mich wohl. Es gab kaum Hausaufgaben, oft endete der Unterricht schon nach vier Stunden und die Lehrer begannen ihre Klasse mit dem Ziel, schon bald in irgendwelche Klatsch-Gespräche mit den Schülern abzudriften. Ganz interessiert waren sie an Deutschland und seiner Andersartigkeit und genauso war ich froh um alles, was sie mir aus ihrem Leben erzählten. Manchmal waren es erstaunliche Geschichten.
Meine Energie setzte ich jetzt bewusst dazu ein, Freunde zu gewinnen und im Unterricht mitzuarbeiten; zu Hause war ich dadurch etwas stiller und öfter mit Hausaufgaben und Arbeitsvorbereitungen beschäftigt. In meiner Schule stand ich in der zwanzigminütigen Frühstückspause mit dem durch alle Klassen hindurch beliebtesten Sandwich am Tresen der kleinen Kantine und plauderte mit der Frohnatur, welche die Sandwiches verkaufte. Es liefen die sich täglich wiederholenden Salsa-, Bachata- oder Cumbia-Rhythmen, die ich nun endlich tanzen konnte und als ich mich mit dem Lieblings-Sandwich in der Hand automatisch zur Musik bewegen wollte, stieß mich jemand Nettes an, den ich kannte: Ich sollte besser nicht öffentlich tanzen. Ich tanzte auf der Straße, in der Schule und zu Hause, immer dann, wenn ich vergaß, dass ich es lassen sollte. Das war mein Erkennungsmerkmal.
Meine nur siebzehnköpfige Klasse hatte sich in Kleingrüppchen aufgespalten und man erwartete von mir, mich einer dieser Gruppen zuzuordnen. Ich versuchte mich mit allen anzufreunden und verbrachte schließlich die meiste Zeit mit zwei Mädchen, die sich mehr als alle anderen für mich zu interessieren schienen. Sie wollten engagierter meine Freundinnen sein als ich die ihre und auf sie konnte ich zählen, sie würden mir gegenüber immer loyal sein. Manchmal fragte ich mich, warum sie sich mir gegenüber so treu verhielten und forderte sie auf kritischer zu sein.
Wir sind sehr verschieden. Doch Verschiedenheit als Basis für Freundschaften hatte sich in Costa Rica bewährt. Eine von beiden ist fleißig, orthodox, fromm und sogar gottesfürchtig. Die andere treu, offen, kompromissbereit, kämpferisch und einfach „ein guter Mensch“. Beide haben kaum über Kleidung und Lebensmittel hinausgehendes Eigentum. Sie schreiben mir jeden Tag, dass sie mich schrecklich vermissen.
Ausflüge mit CAS
Neben der Schule brachten die ersten Monate wenig Neues. Manchmal langweilte ich mich ein wenig. Darauf folgte unser nächster CAS Ausflug! Der berühmteste Strand Costa Ricas:
Wir von CAS wussten, als wir das kleine, vulkanit-rote Hotel sahen: Das ist unsere Burg! Es gab unendlich viele Etagen mit Zimmern, die wie Astlöcher in unserem CAS-Baum saßen. Die verschiedenen Etagen waren über schmale Metalltreppen miteinander verbunden und führten schließlich hinauf in die Krone: der pragmatische Hotelbesitzer hatte seine Dachterrasse zu unserem Schlafzimmer gemacht! Es gab ein, unter dem Wellblechdach hängendes, Bett in dem man auf seinen Schlaf aufpassen musste, wenn man nicht wie ein Vogeljunges an allen Etage vorbei in die Tiefe stürzen wollte. Drei weitere Betten standen dort oben, von ihnen aus ließ sich das Muster der staubigen Straßen beobachten: ein Mann rollte einen Handkarren die eine Straße bis zu der Ecke herunter, an der eine Frau auf der anderen Straße ihre Wäsche mit in die Hütte nahm.
An der hüfthohen Brüstung der Terrasse hing eine Lichterkette, ein paar Yogamatten lagen in einer Ecke zusammengerollt. Die Glücklichen, die hier schlafen durften, schliefen der Mücken und der Hitze wegen die ganze Nacht über nicht und wurden, als sie irgendwann morgens doch endlich eindösten, von einem strahlenden Sonnenaufgang geweckt.
An diesem Ausflug nahmen erneut einige Schüler der Austauschorganisation YFU teil.
Das war gut, weil wir so regelmäßig neue, nette Leute kennenlernten. In Manuel Antonio besuchten wir den Nationalpark und die darin inbegriffenen Strände. Hier sahen wir in einer Baumkrone ein Faultier sitzen, außerdem Waschbären die es auf unser Eigentum abgesehen hatten (wie diesen hier ), ein paar Leguane und vor allem Affen in allen Ecken. Über einen Kletterpfad erreichten wir eine kleine, von Felsen umringte Bucht und ließen uns in den anbrandenden Wellen treiben. Im glasklaren, türkisfarben- leuchtenden Wasser kaute ich meinen Apfel und hatte einfach Spaß, bevor wir zu einer Wanderung mit der neu zu uns gestoßenen Betreuerin aufbrachen, auf der sie uns alles über die Natur am Wegrand erzählte.
Bevor wir aufbrachen, verbrachten wir noch mehr Zeit am Strand. Später ließen wir uns zu einem Eis einladen und genossen den Sonnenuntergang an einem touristischeren Strandabschnitt, der an die Promenade grenzte. Abends im Hotel, nach Pizza und kühlen Getränken, verabschiedeten wir unsere ehemalige CAS Betreuerin und verbrachten den Rest des Abends im Hotelpool.
Ich werde mehr und mehr Teil der Familie
In diesem Frühjahr brachte die Mutter meiner Gastmutter Mexiko nach Costa Rica und eröffnete ein mexikanisches Mini-Bistro. Ich wurde glücklicherweise zum Vortester ausgewählt und bin nun Experte für Schärfe und außergewöhnliche Soßen. Ich half mit bei der Planung, dem Streichen der Wände und gewann meine mexikanische Oma als neues Familienmitglied schnell lieb. Wie immer verbrachten wir viele unserer Wochenenden bei Freunden. Die engsten kamen aus Guatemala und wir mixten in den Küchen die verschiedenen Chili-Sorten und meine mexikanische Oma und die aus Guatemala angereiste Großmutter der Kinder der Freunde stritten sich lautstark über die offensichtlich trickreichen Zubereitungsarten von schwarzen Bohnen.
Ich gehörte immer mehr zur Familie und das mehrfach: Ich war Familienmitglied in einer peruanischen, einer guatemaltekischen, mehreren mexikanischen, costa-ricanischen und mexikanisch-costa- ricanischen Familien. Man richtete sich direkt an mich, oft für besonders schöne Gespräche: mit Lebensweisheiten und Neuigkeiten und Fragen. Großeltern, Freunde, Kinder der Familien: alle hatten mich lieb, nahmen mich ernst und setzten sich sogar für mich ein. Selbstverständlich war ich von ihnen abhängig, oft musste ich sie in Anspruch nehmen, sie fuhren für mich Auto, ich aß, lebte manchmal für kurze Zeit mit ihnen, sie machten mir Geschenke und sorgten sich um mich. Ich weiß ich habe einfach nur Glück gehabt, das Glück gehört mir nicht und hat mir trotzdem etwas mir Unabsprechbares gebracht. Das Glück ist jetzt nicht unbedingt für immer mit mir verbunden, aber die Erlebnisse, die es hervorgebracht hat, schon. Ich bin allen, die diese Besonderheit nun mit mir teilen, auf immer sehr dankbar.
Meine Geburtstagsparty
Bei dieser Gelegenheit muss ich auch an mein Geburtstagsfest eine kleine Hymne schreiben! Man hat mich meisterhaft überrascht und mit Geschenken überschüttet ;)….
Es war eine im Untergrund organisierte Feier, die erforderte, dass mein Gastbruder vier Tage und Nächte in Boxershorts die ca. sechzig Quadratmeter Bodenfläche unseres Pools mit einem Hochdruckreiniger bearbeitete. Ich war so dumm noch am Geburtstagstag an die Nichtexistenz einer Geburtstagsfeier zu glauben, hatte mich aber dazu verleiten lassen, ein paar Bekannte aus der Schule einzuladen.
Wir standen gerade im knöcheltiefen, unaufhörlich abfließenden Poolwasser, als die von meiner Gastmutter geladenen Gäste eintrafen. Es wurde eine riesige Box mit Karaoke-Anlage gebracht, unsere Salsa-Gruppe kam, wir tanzten, sangen, spielten Billard, setzten eine aufblasbare Riesen-Wasserrutsche aufs Wasser, sonnten uns im Garten und tranken alkoholfreie Cocktails zu mexikanischen Spezialitäten. Geburtstagstortenstücke und alte, manchmal skandalöse Geschichten machten die Runde, ich wurde besungen, beschenkt und mein Gesicht wurde auch in die Torte getunkt wie es in Costa Rica und auch in Mexiko üblich ist. Ihr seht: es war einfach perfekt!
Wenig später hörte ich von einem wöchentlich stattfindenden Theaterkurs und spielte seit dieser glücklichen Entdeckung mit allergrößtem Spaß in der Theatergruppe mit. Ich musste leider kurz vor der Aufführung abreisen, bekam aber die Möglichkeit mein Spanisch aktiv zu verbessern, mich in einer neuen Gruppe zu behaupten, auszudrücken und Freunde zu finden, das Theaterspielen neu für mich auszuprobieren und mir im Nachhinein zu wünschen, ich hätte mein Jahr mit genau dieser Idee begonnen. Lieber Austauschschüler, liebe Austauschülerin je mutiger du sein willst und wirst, desto besser wird dein Auslandsjahr! („Sei mutig, sei wie Ira!“) Nur ein Scherz, ja ja ja… (das ist ein seltsamer -aber wichtiger- spanischer Ausdruck und bedeutet: „ha ha ha“)
Granada und der Nicaragua-See
Ich möchte euch noch unbedingt kurz von meinem letzten CAS-Ausflug erzählen!
Dabei handelt es sich um die längste und sich am meisten von den anderen unterscheidende Reise. (Sie ist außerdem „Top Secret“ und nicht auf der CAS Website zu finden). Sechs Stunden Busfahrt Richtung Norden und dann waren wir an der Grenze zu Nicaragua. Das war für mich das erste Mal, dass ich eine Grenzkontrolle passierte und es war ein ermüdendes sich-treiben-lassen.
Wir wurden doppelt und dreifach kontrolliert, auf der Einreise nach Nicaragua sahen wir erst die mit Maschinengewehren ausgestatte Drogenpolizei und später, auf der Abreise, verhielten wir uns genau nach den Anweisungen des Busfahrers, verließen den Bus, damit dieser durchsucht werden konnte, und warteten etwa zwei Stunden in der brütenden Hitze – ohne uns zu rühren.
Das war anstrengend, aber für mich war es vor allem eine spannende, neuartige Erfahrung. Dass die Mühe sich gelohnt hatte, wurde uns spätestes klar, als wir in die nicaraguanische Kolonialstadt Granada hereinfuhren: Kopfsteinpflaster, Kirchen, Kutschen, Kontorhäuser, ein alter Bahnhof, weitläufige Plätze, eine alte Festungsanlage, moderne und historische Handelsstätten, Kunst- und Kunsthandwerksgalerien, Kolonialpaläste hinter weitschwingenden, flügelförmigen Toren, Heldenstatuen, Restaurants, Bars, Musik und Cafés. Wir waren ein glückliches Grüppchen junger Menschen unter einem Haufen anderer, ähnlich junger und ebenso glücklicher Leute die hier waren um sich Granada anzuschauen. Und das taten wir dann auch!
Erst von oben: in der Abenddämmerung auf dem Turm der Merced-Kirche stehend, leuchteten die gelblichen Fassaden von Granada unter den letzten Strahlen der Sonne auf, mit der hereinbrechenden Kühle der Nacht füllten sich die Gassen und Restaurants, Musik spielte auf den Plätzen, über die Menschen in weiten Kleidern und bunten Hosen liefen.
Da Nicaragua zwar das zweitärmste Land Lateinamerikas ist, die Stadt Granada auf Tourismusebene jedoch europäische Standards erreicht, wirkte sie auf mich in manchen Augenblicken wie eine käufliche Theaterbühne. Oben auf dem Turm lag die Stadt uns zu Füßen und der Vulkan Mombacho nicht weit in dem Nicaragua-See, dessen Ufer wir am darauffolgenden Tag mit geliehenen Fahrrädern abfuhren. Zurück in unserem romantischen Backpacker Hostel ließen wir unsere Körper im Pool abklingen und in den zahlreichen, zwischen die Säulen gespannten Hängematten ausschaukeln.
Am nächsten Morgen fuhren zahlreiche Kutschen vor, um uns auch die entlegensten Ecken der Stadt nahezubringen. Wir quartierten uns hinter dem gesprächigsten Kutschführer ein und lauschten dem unaufhörlich aus ihm herausbrechenden Schwall an spanischen Worten zur Geschichte und Gegenwart Granadas. Noch neugieriger als zuvor beanspruchten wir den Rest des Tages für weitere Erkundungstouren, nun auf eigene Faust. Wohin wir kamen, dort blieben wir lange: in einer Kunstgalerie wollte der begeisterte Gallerist sein gesamtes Wissen mit uns teilen, sobald er glücklich unser Interesse entdeckt hatte.
Als wir später dem Angebot zu vermietender Räder folgten, wussten wir noch viel weniger, auf was wir uns da eingelassen hatten…: Für eine lächerliche Summe mieteten wir zwei Stunden lang drei Fahrräder und fuhren damit bis zum Ufer des Nicaragua-Sees, des größten Binnensees Mittelamerikas, und über eine von Mangobäumen gesäumte Promenade zurück in die Stadt.
Mit der Abgabe der Räder, erfolgte unsere darin inbegriffene City-Tour. Kaum hatten wir die traditionellen Kleider übergestülpt und uns in diesem Aufzug reichlich dokumentiert, erlebten wir eine bühnenshow-gleiche Performance der Geschichte Granadas. Unsere ebenso festlich gekleidete Tourenleiterin führte uns durch die Sehenswürdigkeiten und Darbietungen Granadas, ließ nicht eine Frage unbeantwortet und kein Bauwerk, seine Geschichte und Bedeutung fürs große Ganze, im Dunkeln stehen. Sie endete spät in der Nacht mit einem Lied und unter unserem nicht endenden Applaus.
Mit einem genussvollen Frühstück im Schokoladenmuseum begann der darauffolgende Tag, an dem wir eigentlich vorgehabt hatten, den Mombacho Volcano zu besuchen, dessen Kraterwände nun jedoch gefährlich bebten und den Vulkan-Tourismus so kurzzeitig abebben ließen. Stattdessen besuchten wir ein paar entlegene Kunsthandwerksstätten und drehten sogar selbst an der Töpferscheibe. Nach weiteren kulinarischen Touren unsererseits gingen wir abends Pizza essen und schlossen mit Eis. Bevor wir aufbrachen, machten wir uns am nächsten Morgen noch vor Sonnenaufgang zu einem Bad in dem See, der wie ein Meer aussah, auf. Danach genossen wir einen Cappuccino und später unseren Bohnen-Reis-und-Ei-Frühstücksliebling und dann waren wir auch schon fast wieder in Costa Rica.
Mein Traum: Der Playa Conchal
In diesen letzten Monaten verbrachte ich mehr Zeit mit meinen Freundinnen und es entwickelte sich zwischen uns, wie ich es schon in der Familie erlebte, eine fast selbstverständliche Vertrautheit. Zweimal sollte ich noch mit Sand zwischen den Zehen nach Hause kommen. Immer und immer wieder hatte ich in meinem Reiseführer von der Playa Conchal, dem Muschelstrand (concha= Muschel) gelesen. Es war mein heimlicher Wunsch gewesen, diesen irgendwann einmal zu besuchen, behielt das aber für mich, weil ich wusste, dass dieser Strand für meine Gastfamilie schlichtweg zu weit entfernt war.
Im Haus meines Großvaters, am Strand von Guanacaste, fragte mich dieser dann plötzlich, ob ich nicht Lust hätte, heute kurz an eben diesen Strand zu fahren. Ich konnte mein Glück kaum fassen, waren es doch meine letzten Tage im Land und jener Strandausflug für mich zu einem Wunschtraum geworden. Die Strände der Playa Conchal sind unendliche Schichten von Muscheln und Muschelscherben, wie tief sie gehen und was darunter liegt, weiß ich nicht. Insgesamt fuhren wir über sieben Stunden Auto, durch Dörfer und auf Berg- oder Küstenstraßen.
Ich war mit Freunden der Familie unterwegs und deren Tochter fuhr mit mir auf der Ladefläche des Geländewagens, weil so die Meer-Luft und die feuerroten Blüten, die die meisten Bäume zu dieser Jahreszeit abwarfen, im Wind um uns herum fliegen konnten.
Nach einem langen Wochenende, an dem wir Muscheln und verrückte Früchte verköstigten, nahmen wir es auf die gleiche Art und Weise mit dem Rückweg auf: Genussvoll und langsam bahnten wir uns unseren Weg an der Wasserkante entlang. Es war in den letzten Wochen ungewöhnlich viel Regen gefallen und – wie in so vielen Regionen im Land – war auch ein Teil unserer Straße überflutet. Wir fuhren hindurch. Es wurde recht knapp, aber unser Auto hatte eine gerade so ausreichende Höhe. Danach erholten wir uns mit Hilfe von viel köstlichem Fisch in Zitronensaft und der langen Fahrtzeit von dem Schrecken.
Freiwilligenarbeit am Golf von Nicoya
Die nächste Rettungsaktion war für das darauffolgende Wochenende geplant: Freiwilligenarbeit an einer Schildkrötenschutzstation auf der Halbinsel im Golf von Nicoya. Eine Gegend voller Mangobäume, in der der Wind und die Felsen rauer und das Meer weiter wirken. In Nicoya werden die meisten Einwohner älter als neunzig Jahre alt, damit ist die Halbinsel eine von fünf sogenannten „Blue Zones“, den Orten mit der weltweit höchsten Lebenserwartung. Unsere Schildkrötenschutzstation liegt einen etwa zwanzigminütigen Fußmarsch am Sandstrand entfernt, unter Mangobäumen und mitten im Revier der Affen.
Die Natur ist die einzige waltende Macht und damit das auch so bleibt, stellten wir uns in ihren Dienst. Dort, wo wir Menschen zerstörerisch in ihr Lebensreich eingedrungen waren, versuchten wir unsere Fehler zu bereinigen. Es war so viel Müll am Strand. Er schwamm in den Wellen und tarnte sich unter dem Treibholz, das schon tief versteckt im Regenwald lag. An einem Tag füllten wir dreiundzwanzig Säcke (obwohl wir mit Mangos weitaus mehr hätten füllen können…). Bei der Hitze und der harten körperlichen Arbeit waren sie ein köstlicher Zwischendurch- Nachtisch.
Unsere Hauptarbeit war der Bau einer optimalen Schildkrötenbrutstätte. Wir hatten die Aufgabe, eine Grube im Sand zu graben und diesen auszusieben. In diese paradiesischen Gegebenheiten konnten in Gefahr schwebende Schildkrötennester später umgesiedelt werden. Ein sympathisches Team von Biologinnen war der Kopf des Projekts, sie erzählten uns viel Spannendes zu unserer Arbeit. Nachts bewarfen sich die verfeindeten Affenkolonien bestimmt mit Mangos, auf unsere Schlafstätte im Dach des wackeligen Holzhauses zielten sie jedenfalls oft genug. Kolibris flatterten, Affen brüllten und wir warfen uns immer wieder in die warmen Wellen des Golfes von Nicoya, der im Pazifik liegt.
Die allerletzten Wochen waren erst durch die Sehnsucht nach Zuhause und später durch den Wunsch in Costa Rica zu bleiben gekennzeichnet. Die Verabschiedung war der natürliche Lauf der Dinge, es wurde nicht leicht aber doch noch ein bisschen festlich. Meine Klasse hat mich mit einer Abschiedsparty überrascht und meine Familie genoss mit mir ein letztes Wochenende, an dem wir noch einmal alles aßen was möglich war, einen Ausflug machten und mir schließlich genügend Zeit blieb, mich von allen Freunden und Bekannten zu verabschieden. Dabei wurde mir plötzlich bewusst, wie gern sie mich wirklich alle hatten und dass es möglich ist, dass ich ihnen vielleicht ebenso wichtig bin wie sie mir.
Und zum Schluss kommt noch diese kurze, persönliche Reflexion als ein kleines Extra im Sinne „Pura Vida“:
Mein Jahr in Costa Rica ist zu Ende und Deutschland und ich sind wieder vereint. Ich bin also wieder zu Hause… und gleichzeitig um eben jenes eine Jahr in Costa Rica älter. Das sind Tatsachen und das macht es für mich leichter. Denn daneben existieren vor allem eine Menge Fragen: Was ist und war Costa Rica für mich, was Deutschland und wo ordne ich mich da ein? Wieso sind meine eigene und meine costa-ricanische Familie so grundverschieden und wer macht’s besser? Wäre es besser oder schlechter meiner Familie Costa Rica zu zeigen? Und was gibt es meinerseits für Zukunftsvorstellungen?
Momentan möchte ich mich da noch nicht so festlegen, ich würde gerne flexibel bleiben und mich mein Leben lang neu gestalten. Dass diese Idee sinnvoll ist, das habe ich am eigenen Leib zu spüren bekommen. Zum ersten Mal allerdings. Es ist etwas anderes sich dergleichen bloß zu erdenken und es zu erleben. Demnach glaube ich, dass Veränderungen sich nur dann vollziehen, wenn sie notwendig sind. Hier in Deutschland bin ich entweder selten in einem Engpass oder es ist mir nicht bewusst. Die Umstände erfordern es nicht, dass ich mich ändere. Nichts bedroht mein kleines, friedliches Leben, nichts will, dass ich mich für oder gegen und für ein anderes entscheide. Wir Deutschen, oder die allermeisten von uns, fühlen den moralischen Wunsch, sich und seine Umgebung ständig zum Besseren zu verändern, obwohl die Notwendigkeit dazu für kaum einen von uns besteht.
Und Verbesserung meint Vereinfachung der Lebensumstände, so ist es überall zu beobachten und alles andere wäre wider unsere Natur. Aber wir müssen doch erkennen dass wir uns da in einen Teufelskreis hineinbegeben: Mit viel Mühe machen wir es uns so richtig bequem, arrangieren alles um uns herum bis zur Perfektion (machen die Steuererklärung und die Wäsche, haben alle unsere Sachen seit Anbeginn der Zeit versichert und soeben noch schnell eine Petition gegen TTIP unterzeichnet) und …schwups quält uns der Wunsch uns zum Besseren zu verändern. Dieser Horrortrip kann dir zum Beispiel, das ist sehr wahrscheinlich, auf der Couch sitzend passieren… oder eigentlich immer dann, wenn du dich „einfach mal entspannen“ willst, in diesen Momenten musst du besonders auf der Hut sein, aber vermeidbar ist es wahrscheinlich nicht, denn manche Menschen müssen morgens bloß aufwachen und schon ist es um sie geschehen. Allmorgendlich steht dein Verbesserungs-Ich anklagend vor deinem Bett und es erinnert dich daran, dass du jetzt ein besserer Mensch sein willst als noch vor dem Einschlafen.
Die ständige Freiheit der Möglichkeit dein befriedigtes, zufriedenes Ich entweder: unzufrieden zu machen damit es progressiv ist, oder es einfach zufrieden aber fehlerhaft zu lassen, belastet und ängstigt dich. Du hast die „German Angst“ und weißt keinen Ausweg. Ich war immer schon gut in den Dingen die ich zu tun genoss, und überdurchschnittlich schlecht darin mich zu lästiger Arbeit zu bewegen, freiwillig die Arbeit der Verbesserung zu tun. Vielleicht war mein Wille dazu nicht stark genug, jedenfalls häuften sich so meine Vorsätze und Schuldgefühle.
Ich bin in Costa Rica kein besserer Mensch geworden, ich konnte all meine Vorsätze auch in diesem besonderen Jahr nicht erfüllen. Ich bin ebenso fehlerhaft wie zuvor aber ich mache es mir nicht mehr zum Vorwurf. Ich bin in Frieden mit mir, ich bin nicht progressiv, energetisch, „gewinnbringend“ aus diesem Jahr hervorgegangen, aber zufriedener, gelassener. Ich fühle mich befreit von Ansprüchen, Erwartungen und Wünschen, flexibler und humorvoller. Mein Scheitern bringt mich zum Lachen, Veränderungen sind ein Heidenspaß! Ich habe richtig Lust auf Schwierigkeiten!
Und auf Länder und auf Unterschiede. Ich finde ich sollte jetzt sofort die ganze Welt bereisen und alles kennenlernen. Aber ich bin vernünftig, mäßige mich und stimme lieber dem Satz eines südamerikanischen Freundes meiner Eltern zu: „Die Richtung ist wichtig“.