- WELTBÜRGER-Stifter: GLS
- Programm: Schüleraustausch
- Land: England
- Dauer: 10 Monate
- Name: Christine
Der Weg auf die Insel
So, ich hatte mich nun entschieden, ein Schuljahr in England zu verbringen. Mein Ziel: Abingdon, eine Kleinstadt, etwa 10 km südlich von Oxford. Am 31. August 2014 hieß es also ab in den Flieger und auf in das aufregende Leben als Austauschschülerin.
Nach sechsstündiger Anreise bin ich am Sonntagnachmittag bei meinen Gasteltern angekommen. Neben ihnen empfing mich ihr kleiner süßer Hund, ein Westie Terrier. Die Gasteltern sind seit kurzem allein, weil ihr letztes Kind an die Uni gegangen ist. Ein paar Wochen nach mir kam auch noch meine japanische Gastschwester hinzu. Im Haus ist also schon mal immer was los! 🙂
Wenn man nach Amerika oder Japan zum Schüleraustausch geht, hat man erst mal ein paar Tage, um sich an das Leben und die Zeitzone dort zu gewöhnen. In England scheinen wir das mit nur einer Stunde Zeitverschiebung nicht nötig zu haben und so hieß es: Sonntag angekommen und Montag direkt zur Schule.
Der erste Schultag kam schneller als erwartet
Na gut, der erste Tag begann erst nachmittags und es war nur ein Einführungstag in die „Sixth Form“, die englische Oberstufe. Ich gehe in die zwölfte Klasse und belege vier Fächer: Business Studies, Media Studies, French und English Language. Das klingt jetzt zwar ziemlich entspannt, ist es aber nicht, da wir in jedem Fach zwei Lehrer haben, die jeweils zwei Stunden unterrichten und parallel anderen Stoff durchnehmen und wir somit also eigentlich doch acht Fächer haben.
Der reguläre Schultag beginnt um 8:45 Uhr mit der „Registration“, einer Art Anwesenheitskontrolle durch den Tutor. Dann hat man jeden Tag 5 Stunden Unterricht à 60 Minuten bis 15:10 Uhr. Man darf das Schulgelände nur in der Mittagspause verlassen, also nichts mit eben mal in die Stadt oder gar nach Hause. Die Schulen hier sind ziemlich streng was das angeht. In den paar Freistunden, die man hat, macht man also entweder seine Hausaufgaben oder quatscht mit seinen Mitschülern.
Apropos Mitschüler, wir sind zum Glück nur zwei Deutsche in meinem Jahrgang, also gibt es nicht die so oft gehörte und gefürchtete „Gruppenbildung Ausländer vs. Engländer“. Man sollte natürlich auch auf die Leute zugehen, um Kontakt zu bekommen, aber ich habe gemerkt, dass man auch relativ oft angesprochen wird, wenn man sich einfach bei den Engländern untermischt und zum Beispiel am Tischkicker oder am Billiardtisch das Spiel verfolgt.
Der „Common Room“, so etwas wie der Sek II Raum in Deutschland, also ein Raum für die Oberstufe, ist wirklich gut ausgestattet, was man am Billiardtisch und Tischkicker schon sehen kann. Außerdem gibt es dort einen kleinen, schülerbetriebenen Laden, eine Musikanlage, aus der jede Pause laute Musik dröhnt, einen Wasserkocher und eine Mikrowelle, für die hier sehr beliebten Fertiggerichte wie Nudeln. Natürlich kann man auch frisches warmes Essen in der Cafeteria kaufen, aber das ist ja langweilig.
Die Pausen sind sehr entspannt und es ist wirklich interessant zu sehen, wie viel Respekt einem von den jüngeren Mitschülern entgegengebracht wird, nur weil man als Oberstufenschüler keine Schuluniform mehr tragen muss. Wenn der Unterricht dann um zehn nach drei zu Ende ist, gibt es ein enormes Angebot an AGs für die verschiedenen Altersstufen. Meine Schule ist auf die Künste spezialisiert, es gibt demnach also viele Kunst-, Tanz-, Schauspiel- und Gesangs-AGs.
Freunde finden sich leichter in AGs
Ich kann jedem nur empfehlen, so viele AGs wie möglich auszuprobieren, weil man dabei wirklich viele Leute kennen lernt und so auch Freundschaften knüpft, da man im Unterricht sonst ja nur in Kursen sitzt und dadurch immer mit unterschiedlichen Leuten zusammen ist und keinen Klassenverband mehr hat. Da ist es gut, sich eine Gruppe Freunde entweder in der Pause oder in den AGs zu suchen, damit man in den Pausen nicht alleine herumsitzen muss.
Die Engländer sind alle sehr freundlich und offen und passen nicht so recht auf das Vorurteil, dass sie in der ersten Woche reges Interesse an einem haben, weil man Ausländer ist und dann ganz viele Fragen stellen, nach dieser Woche aber alles Interesse verlieren und sich von einem abwenden. Ab und an bekomme ich zwar eine Frage über Deutschland gestellt, aber meine Mitschüler scheinen mich viel mehr als eine von ihnen zu sehen und so war der Anfang, mit Leuten ins Gespräch zu kommen zwar schwerer, aber nach zwei Wochen bin ich schon am Wochenende mit meinen Freunden nach Oxford Essen gegangen.
Generell ist meine Wohnlage optimal, weil ich in einem kleinen Dorf genau zwischen meiner Schule in Abingdon und Oxford wohne. Mit dem Bus brauche ich morgens 15-20 Minuten zur Schule und nach Oxford sind es von meiner Gastfamilie aus auch nur 20 Minuten mit dem Bus.
Oxford ist eine tolle Stadt und ich kann sie jedem nur empfehlen zu besuchen. Die Universitäten und alten Gebäude sind auf jeden Fall einen Besuch wert! In Oxford selbst kommt man zu Fuß gut herum und es gibt viele tolle Einkaufsmöglichkeiten. Abgesehen von vielen Kleidungsgeschäften wie H&M, Jack Wills und Topshop gibt es auch einen Tesco Metro und Poundland.
Diese beiden Geschäfte sind essentiell für Austauschschüler, weil man bei ihnen alles bekommt, was man für das „tägliche Überleben“ benötigt. Tesco Metro, Tesco Express und natürlich der riesige, originale Tesco Markt sind perfekt für alle Kleinigkeiten, die man so braucht und mehr. Im großen Tesco kann man sich für Stunden aufhalten und die Gänge nach coolen Süßigkeiten und Krams durchsuchen, den wir in Deutschland nicht haben.
Poundland ist super, um den Geldbeutel zu schonen. England ist sehr teuer und im Moment ist der Euro auch noch sehr schwach, also ist es ziemlich schwierig, die empfohlenen 250 Euro Taschengeld im Monat (noch nicht einmal 200 Pfund im Moment) einzuhalten, wenn man sich Wasser für die Schule, Taschentücher (in England ist immer irgendjemand erkältet) und natürlich Süßigkeiten kaufen muss.
Poundland hat eine große Markenauswahl und es ist, wie meine Mitschüler sagen, „Das einzig Gute an Abingdon“. Ich finde, Abingdon hat noch eine Menge mehr zu bieten, aber für uns Schüler ist das wirklich der beste Ort, um sich mit Krimskrams zu versorgen.
Der Alltag ist straff organisiert
Ich habe festgestellt, dass wir in der Schule ziemlich viele Hausaufgaben aufbekommen und wer hier Kunst nehmen möchte, sollte auf Massen an Arbeit gefasst sein! Ich selbst habe auch nur sehr wenig Freizeit, weil ich irgendwie immer unterwegs bin, um irgendetwas zu besorgen, Hausaufgaben mache oder in der Schule zur Tanz AG gehe.
Obwohl die Schule zwar sehr streng auf vergessene Hausaufgaben reagiert, haben wir jede Woche auch vier Stunden „Complementary Studies“, in denen wir entweder frei haben oder wichtige Sachen für das spätere Leben lernen: Bewerbungen schreiben, sich der britischen Kultur bewusst werden oder einfach einen Vortrag über interessante Projekte bekommen.
Einmal in der Woche haben wir in der letzten Stunde auch eine Stunde nur mit unseren Tutor und nächste Woche werden wir dort einen Kochwettbewerb halten. Was sich die Schule einfallen lässt, um uns von dem harten Arbeitsalltag abzulenken, ist wirklich beeindruckend!
Meine Schule ist auch sehr gut mit einer Bibliothek mit den neuesten Büchern, mehreren Computerräumen und vielen Sporthallen ausgestattet, man kann also immer etwas machen und in der Mittagspause stehen Probenräume für Schauspieler und Musiker zur Verfügung.
Auch wenn man also so viel zu tun hat, es wird immer für einen Ausgleich gesorgt und so fällt es mir viel leichter, mich in den Schulalltag zu integrieren und ganz viele tolle Erfahrungen zu machen, wofür so ein Austauschjahr schließlich auch da ist.
Erster Ausflug nach London
Letztes Wochenende waren wir mit unserer Austauschschülergruppe von GLS zusammen in London und wir hatten sehr viel Spaß. Wir haben viel gesehen, gekauft, und endlich wieder richtige Brötchen gegessen! Ein Musicalbesuch bei Wicked war jedoch das absolute Highlight.
Meine Gastfamilie ist super nett, meine Gastmutter ist eine tolle Köchin und wir essen sehr gesund. Die Gasteltern haben schon viel Erfahrung mit Gastschülern, weil sie regelmäßig welche aufnehmen. Trotzdem kümmern sie sich liebevoll um mich und sehen mich nicht als eine Art, Geld zu verdienen, an.
Ich kann allerdings nicht sagen, dass sich England so viel von Deutschland unterscheidet: Wir sind alle Schüler, die zur Schule gehen und die Vorurteile mit der Distanziertheit oder des schlechten Wetters stimmen überhaupt nicht. Ich hatte bis jetzt nur zwei Tage, an denen es ein paar Stunden geregnet hat, aber es soll auch der trockenste September sein, seitdem es Wetteraufzeichnungen in England gibt (Quelle: mein Gastvater), also kann ich mich über das Wetter noch nicht so genau äußern.
England ist eben mehr als nur „London mit seinen roten Bussen, dem Big Ben und dem London Eye, etc.“. Die Menschen hier sind so wie du und ich zu Hause, sie legen höchstens ein bisschen mehr wert auf das korrekte Anstellen: besonders an den Bushaltestellen muss man darauf achten, dass die Leute in einer Schlange auf den winzigen Bänken sitzen und das man sich dann hinten anstellt, damit man keine bösen Blicke zugeworfen bekommt.
Zwischenbilanz nach drei Monaten
So, inzwischen bin ich schon über drei Monate hier in England und ich muss sagen, es gefällt mir immer noch.
Jeden Tag gibt es viel zu tun und die Lehrer geben auch viele Hausaufgaben auf, weil die Schulen hier sehr unter Druck gesetzt werden, dass die Schüler gute Noten schreiben und darum müssen wir das im Unterricht gelernte jedes Mal in den Hausaufgaben umsetzen.
In Business Studies zum Beispiel üben wir ganz oft alte Klausuren im Unterricht und bekommen die auch als Hausaufgabe auf. In England gibt es nicht das gleiche System mit Klassenarbeit beziehungsweise Klausuren über längere Zeiträume vor den Herbstferien bzw. vor den Weihnachtsferien wie in Deutschland. Hier werden nur selten „Tests“ geschrieben, die auf die „Probeklausuren“ im Januar vorbereiten sollen und die einzigen richtigen „Klausuren“ werden am Ende des Schuljahres von Mai bis Juni geschrieben, so ähnlich wie das Abitur in Deutschland.
Meine Mitschüler tun mir in Französisch immer leid, weil sie erst dieses Jahr angefangen haben, richtig die Grammatikstrukturen zu lernen. Das englische Bildungssystem sollte den Sprachenunterricht lieber anpassen. Man kann doch nicht innerhalb eines Jahres die gesamte Grammatik lernen! Was haben die denn vorher gemacht?
Jetzt zur Weihnachtszeit hat die Sixth Form (die Oberstufe) eine „Panto“ Aufführung gemacht. „Panto“ steht für „Pantomime“, aber es ist eigentlich eine ganz normale Schultheater Aufführung. Jedes Jahr wird sich ein traditionelles Märchen herausgesucht und darum wird dann eine neue Geschichte aufgebaut mit vielen lustigen Tanzeinlagen und vielen Charakteren aus anderen Geschichten und Filmen.
Dieses Jahr wurde Aladdin abgeändert und „A-ladd-in-a-lamp“ aufgeführt. Aladdin und Jasmine waren auf der Suche nach dem Genie, der ihnen noch einen Wunsch schuldete und auf ihrem Weg haben sie unter anderem Willy Wonka und den verrückten Hutmacher getroffen. Dumbledore und James Bond wurden von den Lehrern gespielt.
Einen Tag später war das Weihnachtskonzert, bei dem wir mit unserer Young Enterprise AG auch einen Verkaufsstand für Weihnachtsdekoration hatten. Die Schule ist inzwischen so schön geschmückt mit Lichterketten und (unechten) Weihnachtsbäumen.
Christmas in England
In England werden generell seltener echte Weihnachtsbäume gekauft, weil die hier entweder super teuer sind (ja, noch teurer als in Deutschland) oder sofort alle Nadeln verlieren. Außerdem wird hier wie in Amerika Weihnachten erst richtig am Morgen des 25. Dezembers gefeiert und am 25.12 (Christmas Day) wird auch der traditionelle Truthahn gegessen. Wer Mr Bean kennt, wird wissen, wovon ich rede.
Da hier der Nikolaustag generell nicht gefeiert wird, habe ich für meine Gastfamilie und für meine Freunde selbst Stutenkerle gebacken. Leider gibt es hier in der Regel keinen Quark zu kaufen, weshalb ich französischen Frischkäse genommen habe. Sie sind sehr gut geworden und die Enkel meiner Gasteltern haben sich auch sehr über die Leckerei gefreut.
Wenn man in die Innenstädte geht, sind die Straßen wirklich schön geschmückt, aber einen schönen Weihnachtsmarkt sucht man vergeblich. In London gibt es zwar das sogenannte „Winter Wonderland“ und dort gibt es auch Bratwurst und Lebkuchenherzen zu kaufen, aber zu enormen Preisen! Da warte ich lieber, bis ich kurz vor Weihnachten für die Ferien wieder zu Hause in Deutschland bin und esse dort erst Mal einen Bratapfel und trinke Kinderpunsch.
Dafür, dass es keine Weihnachtsmärkte gibt, wird in jeder Stadt das erstmalige Anschalten der Weihnachtsbeleuchtung groß gefeiert und die ganze Stadt versammelt sich zum Feuerwerk in der Innenstadt. Meine Freunde hatten mir nicht gesagt, dass es ein Feuerwerk geben würde und darum war ich richtig überrascht, als plötzlich der Himmel in allen erdenklichen Farben erstrahlte! Ich habe selten so ein schönes Feuerwerk gesehen.
Einblick ins studentische Oxford
Da ich so nah an Oxford wohne, habe ich mal ein bisschen über die verschiedenen Clubs recherchiert, weil an meiner Schule alle AGs, an denen ich teilnehmen möchte zur selben Zeit stattfinden und ich mich somit auf die Schülerfirma beschränken musste.
Es gibt die Oxford University Japan Society, die jede Woche Sprachunterricht anbietet und es ist wirklich eine gute Erfahrung für mich dort hin zu gehen, weil ich viele Leute aus verschiedenen Ländern kennen lernen kann und am Wochenende auch häufig Ausflüge organisiert werden. So gehen wir zum Beispiel häufig gemeinsam japanisch Essen oder gehen auf Veranstaltungen innerhalb und außerhalb Oxfords und ich habe viele neue Freunde gefunden.
Leider hat die Uni viel länger Weihnachtsferien als wir und darum hatten wir schon am 6.12. unsere letzte Unterrichtsstunde für dieses Jahr. Es muss so angenehm sein, zur Uni zu gehen. Wir Schüler müssen währenddessen für die Mock Exams (Probeklausuren) direkt nach den Weihnachtsferien büffeln.
Bevor die Ferien jedoch anfingen, habe ich mit der Oxford University Japan Society und den Mitgliedern, sowie japanischen Austauschschülern noch vieles unternehmen können. So waren wir auf der „Hyper Japan“ Messe in London und haben dort viele japanische Spezialitäten probiert.
Außerdem konnten wir uns an Kalligraphie, also der Schönschrift der japanischen Schriftzeichen in einem Kurs versuchen und sind mehrmals in einem authentischen japanischen Restaurant in Oxford essen gewesen.
Weil ich mich sehr gut mit den japanischen Austauschschülern verstehe, habe ich mich auch am Wochenende oft mit ihnen getroffen und ich konnte auch mal die „touristische Seite“ von Oxford sehen.
Wir sind zusammen den traditionellen englischen „Afternoon Tea“ in Englands ältestem Kaffeehaus trinken gegangen. Naja, man müsste eigentlich eher „essen“ sagen, da jeder vier Sandwiches, zwei Scones und dann noch Pralinen aufgetischt bekommt.
Scones sind in England das traditionelle Gebäck zum Tee und werden zusammen mit Clotted Cream und Marmelade gegessen. Ich kann es jedem nur empfehlen, die mal zu probieren! Leider gibt es aber keine Clotted Cream in Deutschland zu kaufen, was aber nur noch ein Grund mehr ist, gleich persönlich nach England zu kommen und die Atmosphäre in einem britischen Café selbst zu erleben, oder nicht? 🙂
Außerdem hatte ich die Möglichkeit, an zwei der traditionellen formellen Dinner der Universität von Oxford teilzunehmen, weil mich einige meiner Freunde zu ihrem Abschied dort hin eingeladen haben. Die Studenten selbst müssen dort ihre Immatrikulationsroben tragen und auch die Gäste sind formell angezogen. In den alten Gemäuern der Universität hat das schon etwas Besonderes, wenn nicht Magisches!
Das Essen auf der Speisekarte war wie erwartet sehr „posh“, es sah also sehr extravagant aus, weil französische Begriffe benutzt wurden und es war auch wirklich lecker, aber ich denke, dass das wichtigste für mich nicht das Essen selbst war, sondern die Erfahrung, an dieser Tradition teilzunehmen.
Wenn man abends also Leute in Oxford in Roben und Abendkleidern sieht, dann kann man schlussfolgern, dass an dem Tag wohl ein formelles Dinner stattgefunden hat. Ich finde es jetzt immer wieder lustig, diese Leute zu sehen, wenn ich durch Oxford gehe, weil ich selbst jetzt weiß, dass die Studenten selbst auch nur normale Menschen sind, aber die Uni trotzdem sehr „posh“ ist.
Weihnachtswahnsinn in London
Natürlich musste ich in der Weihnachtszeit auch nach London fahren, um ein paar Geschenke für meine Familie und Freunde zu besorgen. Ich weiß nicht, ob das wirklich so eine gute Idee war! Die Stadt war voll mit Leuten und meine Freundin und ich sind den ganzen Tag viel durch die Gegend gerannt, sind Treppen runter zur Tube Station und wieder hoch gelaufen, nur um am Abend herauszufinden, dass wir uns so ziemlich immer nur in einer Gegend aufgehalten haben und wir vieles auch einfach zu Fuß hätten erreichen können, anstatt uns in die überfüllten Bahnen zu quetschen (bzw. fast von den Türen zerquetscht zu werden).
Daher kann ich allen Leuten, die in der Weihnachtszeit London besuchen wollen, vorher nicht nur einen genauen Plan zu machen, was man machen will und wohin man will (Museumsbesuch und Einkaufen sind definitiv zu viel für einen Tag in der Weihnachtszeit!), sondern auch, wo sich die Geschäfte genau befinden und das auf einer Karte zu markieren, damit man sich unnötige Umwege, die Google einem vorschlägt, sparen kann.
Trotzdem muss ich wirklich ein Lob an Londons Museen aussprechen. Alle sind kostenlos bis auf spezielle Ausstellungen und sie sind so schön! Besonders das National History Museum und die National Gallery! Dort kann man dann auch schöne Souvenirs und Weihnachtskarten für die Familie zu Hause kaufen.
Weihnachtskarten sind hier in England extrem wichtig. Meine Gastmutter hat mir erzählt, dass sie früher 80 bis 90 Karten jedes Jahr verschickt hat! Jetzt sind es „nur“ noch um die 30 bis 40 Stück.
Lange ist es jetzt nicht mehr hin, bis ich über Weihnachten nach Hause fahre. Meine Freunde aus der Schule verbringen Weihnachten natürlich mit ihren Familien und freuen sich besonders auf den „Boxing Day“, an dem sie sich dann ihrer Geschenke erfreuen können. Währenddessen besuchen meine Freunde aus der Uni auch ihre Familien und die Austauschstudenten bereisen Europa.
Wenn ich nach Weihnachten im neuen Jahr wieder komme, bin ich mir sicher, dass viele neue tolle Erfahrungen auf mich warten und ich freue mich schon darauf, dass es dann auch irgendwann Frühling wird und nicht mehr so kalt ist.
Vorher darf ich mich aber noch an den „Mocks“, also den Vorabi Klausuren erfreuen, das wird ein Spaß! Aber so schwer ist die Schule hier ja zum Glück nicht, also denke ich mal, dass ich das schon hinkriegen werde. Auch als deutsche Austauschschülerin ist es ziemlich einfach, dem Unterricht zu folgen. Ich wünsche allen eine frohe Weihnachtszeit! Bis zum nächsten Jahr!
Fernweh? JuBi!
Mein Eindruck von der britischen Mentalität
Nachdem ich nun schon über ein halbes Jahr in England verbracht habe, ist mir klar geworden, dass sich die Briten als ganz individuell sehen. In meinem Medienunterricht habe ich gelernt, dass die nationale Identität eigentlich nichts anderes ist, als eine in unserer Vorstellung existierende Gemeinschaft, die auf einer übereinstimmenden Meinung darüber, was es heißt zu dieser Gruppe zu gehören, gründet.
Was heißt das also im Klartext?
Die nationale Identität einer Gruppe ist durch unsere Vorstellung von gemeinsamen Werten und Normen geschaffen. Da jeder jedoch alles anders wahrnimmt, variiert dieses Bild von Mensch zu Mensch und dadurch erfährt jeder seine nationale Identität auf eine andere Weise. Für einige mag sich dies durch das Alter, das Geschlecht, die Familie, das soziale Umfeld, die Geschichte oder bestimmte berühmte Sehenswürdigkeiten ausdrücken.
Klar ist jedoch, genau so wie die eigene Identität zu finden, ist es sehr kompliziert die eigene nationale Identität zu definieren, da wir heutzutage durch das Internet und andere moderne Medien zunehmend auch von anderen Kulturen und Nationen beeinflusst werden.
Für England habe ich aufgrund meiner Erfahrungen in meinem Schüleraustausch in Abingdon in der Nähe von Oxford folgende Erkenntnisse über die britische nationale Identität gemacht. Die Briten selbst beschreiben sich mit den typischen Vorurteilen, mit denen sie auch bei uns Ausländern behaftet sind, wenn sie danach gefragt werden, was für sie „typisch britisch“ ist:
– | Sie beschweren sich über das Wetter: Entweder, es regnet zu häufig oder es ist zu warm, wenn denn mal die Sonne scheint | |
– | Sie stellen sich immer und überall sauber in Reih und Glied an, was ich vor allem an den Bushaltestellen täglich beobachte | |
– | Sie lieben „typisch britisches“ Essen wie Fisch and Chips, Roast Dinner und den Afternoon Tea mit Scones |
Das ist keine große Überraschung, denn dafür sind sie auch in der Welt am bekanntesten. Was mich jedoch überraschte, ist, dass sie sich nicht als ein Teil Europas sehen. Wenn etwas über Frankreich oder Deutschland in den Nachrichten ist, vor allem über das Reisen, dann kann man sicher sein, dass sie sich über die Freiheiten und Verknüpfungen in „Europa“ wundern. „Ja, in Europa ist es ja auch so und so“ bekommt man dann zu hören.
Ein kleiner Ausflug in Englands Geschichte
Dies lässt sich auf die „Inselmentalität“ zurückführen. Obwohl der Staat in Europa liegt, wo über die Jahrhunderte immer wieder Kriege um Land stattgefunden haben, wurde Großbritannien das letzte Mal 1066 von den Franzosen eingenommen. Als Insel waren sie nicht so leicht anzugreifen wie Staaten auf dem Festland, da Angreifer schon früh sichtbar waren. Ab dem 18. Jahrhundert fing dann das Britische Imperium an, zu wachsen, sodass Großbritannien 1900 die größte Navy der Welt besaß.
Durch die Kosten der beiden Weltkriege schrumpfte dies jedoch zusammen und führte schließlich zu der Bildung des Commonwealth. Nun ist der Inselstaat wieder mehr oder weniger für sich allein im Vergleich zu dem Imperium um 1900. Diese Entwicklung könnte Auslöser der strengen „Inselmentalität“ gewesen sein. Wenn man also denkt, England wäre einfach ein Teil Europas und wir wären alle eine große Gemeinschaft, dann wird man enttäuscht werden.
Obwohl diese Denkweise zunächst vielleicht für Deutsche befremdlich klingen mag, hat sie auch ihre guten Seiten: Sie gibt den Engländern zum Beispiel Sicherheit. Wenn man in England auch als Europäer einreist, wird der Personalausweis auf das Genaueste kontrolliert. Was für uns Reisende etwas langwierig und übervorsichtig erscheint, macht aus der Sicht der Engländer großen Sinn.
Vor allem nach den Angriffen auf die französischen Karikaturisten, haben die Engländer Angst, dass sie als Nächstes an der Reihe sein könnten. Da sie seit 1066 aber nicht von fremden Truppen übernommen wurden und demnach kaum Erfahrung mit der Gefahr von außerhalb in ihrem Land haben, ist es für sie nur logisch, sich von der Bedrohung abzugrenzen.
Auch als Austauschschüler macht man üblicherweise die Erfahrung, dass es schwierig ist, mehr als oberflächliche Beziehungen mit den englischen Mitschülern zu führen, da sie doch eher unter sich bleiben und ihre Freundesgruppen normalerweise nicht verlassen.
Internationales Great Britain
Auf der anderen Seite gibt es natürlich auch solche Briten, die sich sehr für andere Kulturen interessieren und ich habe erfreulicherweise die Möglichkeit, viel Zeit auch mit diesen Menschen zu verbringen, da ich der „Oxford University Japan Society“ beigetreten bin.
Die Universität von Oxford beherbergt jedes Jahr viele ausländische Studenten und vergibt auch viele Stipendien für Ausländer. Demnach ist es also nicht so, dass die Engländer nach dem Motto „Wir bleiben nur unter uns“ handeln, sondern auch durchaus kulturelle Vielfalt in ihrem Land wünschen. Diese Austauschstudenten sind natürlich auch von der englischen Wirtschaft erwünscht, da sie Geld und Potential für spätere hoch qualifizierte Arbeiter darstellen.
In der japanischen Gesellschaft der Universität von Oxford sind unzählige Nationalitäten unter den Mitgliedern vertreten, nicht nur Europäer, sondern auch Asiaten und Amerikaner und die Engländer dort akzeptieren jeden so, wie er ist. Ich könnte mir vorstellen, dass dies auf ein höheres Maß an Reife der Studenten im Gegensatz zu den 16- bis 17-jährigen Jugendlichen in der Schule zurückzuführen ist. Außerdem haben die meisten der Studenten selbst bereits ein Jahr im Ausland verbracht und sind deshalb vertrauter mit anderen Kulturen und demnach vermutlich auch offener.
Über die Position der Briten gegenüber Europa lässt sich also festhalten, dass zwar generell ein Gefühl der teilweisen Abgrenzung herrscht, jedoch das genaue Gegenteil von großer Gastfreundlichkeit und Offenheit auch vorhanden ist
In dieser durch die modernen Medien ständig vernetzten Welt wäre eine komplette Abschottung vor allem in Europa auch mit einem Todesstoß für die Wirtschaft gleichzusetzen, weshalb die Briten ihre attraktiven Aspekte wie ausgezeichnete Universitäten und historische Sehenswürdigkeiten sehr gut generell zu ihrem Vorteil nutzen und Auswärtige in diesen Bereichen äußerst willkommen sind.
Nun, nachdem der Standpunkt der Briten in der Welt und ihre Sicht auf Ausländer in ihrem Land betrachtet wurden, möchte ich mich Themen der britischen nationalen Identität widmen, die im Alltag deutlich werden, wenn die Briten unter sich sind.
Berühmte Englische Küche
Die weltberühmten Pubs gehören zu dem Erwachsenenleben dazu. Nach der Uni oder nach der Arbeit trifft man sich dort mit Freunden oder Kollegen auf ein Bierchen und meistens auch auf eine warme Mahlzeit. Hierbei spielt der soziale Faktor die wichtigste Rolle und die Beziehungen zwischen den Menschen werden aufgebaut, beziehungsweise verstärkt.
Wenn man jedoch nicht auswärts isst, weil das Essen in den Pubs nach allgemeiner Meinung nicht das Beste ist und noch dazu einen hohen Preis schlägt, ist man mit der Familie daheim oder im Wohnheim abends das „Dinner“.
Da Engländer üblicherweise mittags nicht warm essen, außer teilweise Schüler in den Schulen, deren Eltern abends keine Zeit zum Kochen haben, ist die Hauptmahlzeit das Abendbrot. Nach traditionellem Standard wird häufig „meat and two veg“, also Fleisch und zwei Arten Gemüse serviert.
Diese Variante des „Roast Dinner“ besteht im Detail dann aus „gravy“, also einer Soße aus dem Fleisch Fond, typisch englischen Gemüsesorten wie Kartoffeln, Möhren, Erbsen oder Kohl und dem Braten. Am Sonntag Mittag wird dies jedoch auch häufig in ausgedehnter Variante serviert, mit mehr Auswahl an Gemüse und an anderen Beilagen wie den „Yorkshire Puddings“.
In den letzten Jahren sind indische Gerichte und Pasta in den englischen Küchen heimisch geworden, jedoch greifen auch viele Familien auf das „Take away“ von einem Fastfood Restaurant zurück, wenn keine Zeit zum kochen ist. Wenn man bedenkt, dass das Essen in England weltweit keinen guten Ruf hat, muss man sich also auch nicht wundern, warum die Engländer nicht so wählerisch mit ihren Mahlzeiten sind.
Außerdem ist Tee nicht mehr wirklich das Kultgetränk der Engländer, dass es einst war. Häufig wird anstatt einer Tasse Tee morgens nach amerikanischem Vorbild auf Kaffee umgestiegen und bis jetzt habe ich auch nur Touristen den englischen Afternoon Tea zelebrieren sehen. Diese Traditionen haben sich aus praktischen und zeitlichen Gründen im modernen Alttag nicht halten können.
Des weiteren spielt die englische Königsfamilie, welche international als DAS Wahrzeichen für Großbritannien gilt, im Alltag der meisten Leute kaum eine Rolle und auch der Big Ben oder das London Eye stehen nicht im Fokus der Engländer als etwas, was sie selbst gerne besichtigen würden, weil London als Hauptstadt Englands praktisch nur als Arbeitsort von vielen Pendlern gesehen wird, oder als gute Möglichkeit zum Einkaufen für Jugendliche.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die nationale Identität der Briten bzw. Engländer stark von der „Inselmentalität“ bestimmt wird, die sie sich als eine Einheit umgeben von Europa sehen lässt. Viele Traditionen wie das ausgedehnte Roast Dinner sind nur noch selten vollständig vorhanden und den berühmten 4 Uhr Tee hält auch so gut wie niemand. Großbritannien wird immer internationaler, was sich auch in der Küche wieder spiegelt, in der sich indisches Essen großer Beliebtheit erfreut.
Trotzdem kann man DIE nationale Identität der Briten nicht genau bestimmen, da sich jeder selbst definieren muss und sich nach seinen Erfahrungen anders sieht, jedoch sind dies Punkte, an denen sich der Alltag der meisten Menschen orientiert, sodass dies gemeinsame Werte sind, die in der Gesellschaft vorherrschen.
Abschließend möchte ich mich bei dem unabhängigen Bildungsberatungsdienst weltweiser und bei GLS für mein Teilstipendium bedanken, das mir diese tollen und wertvollen Erfahrungen als Weltbürger erst ermöglicht hat.